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Archiv-Artikel

Maske, Make-up, Schutt und Stoff

Cindy Sherman konfrontiert uns auf wunderbare Weise mit Klischees. Im Martin-Gropius-Bau ist nun eine Retrospektive der großen Künstlerin zu sehen, die sich auf die Suche nach einer anderen, weniger verlogenen Schönheit machte

VON KITO NEDO

„Bitte seien Sie nicht enttäuscht“, sagt Gereon Sievernich, der Chef des Martin-Gropius-Baus. Er versucht die zur Pressekonferenz versammelten Journalisten über die Abwesenheit von Cindy Sherman hinwegzutrösten – sie erscheine grundsätzlich nicht zu derartigen Terminen. Stattdessen habe sich die Künstlerin nach Hängung der Ausstellung zu einer Fahrradtour durch die Stadt entschlossen, teilte der Museumsmann mit. Als kleines Trostpflaster und vielleicht auch als Beweis für die prinzipielle Öffentlichkeitsscheu der in New York lebenden Fotografin lief dann eine halbstündige Video-Dokumentation aus dem Jahr 2002, in der sie sich, bis auf ein historisches Fernsehinterview aus den frühen Achtzigern, auch nicht blicken ließ.

So wird nun die kleine Verwirrung gepflegt, die um das Aussehen Shermans herrscht, obwohl die Künstlerin für annähernd alle ausgestellten Fotografien dieser großen, sämtliche wichtigen Werkgruppen zwischen 1975 und 2005 umfassenden Retrospektive selbst Modell gestanden hat. Beinahe ihr gesamtes Werk besteht aus hunderten titellosen, dafür jedoch streng durchnummerierten und mehr oder weniger verfremdeten Selbstporträts. Doch Sherman wehrt sich in Interviews immer wieder gegen den leichtfertigen Kurzschluss von Kunst-Rolle und Realperson: „Meine Fotos sind sicher keine Selbstporträts oder Repräsentationen meiner selbst, was leider immer wieder behauptet wird.“

Wenn sie es selbst nicht ist, dann ist ihr Verschwinden in den Bildern das Thema der Cindy Sherman: hinter Masken, krassem Make-up, Prothesen, Schutt oder Unmengen von Stoff. Sie ist die „unsichtbare Frau“, die durch die verschiedenen Re-Inszenierungen medial verbreiteter Klischeebilder läuft. Das gilt für die fiktionalen Produktionsshots aus imaginären Spielfilmen ihrer ersten Serie „Untitled Film Stills“ (1977–1980) genauso wie die gruselig-trashigen Charaktere der „Hollywood/Hampton Types“, die Anfang der Neunziger entstanden. In diesen Bildern gelingt es ihr übrigens wie niemand anderem, jenen paradoxen Realismus auf den Punkt zu bringen, den die Ästhetik der Jetztzeit mit ihren gebleichten Zähnen, gelifteten Gesichtern, entfetteten Problemzonen und implantierten Haarteilen fordert: Je hässlicher und künstlicher Sherman ihre Figuren erscheinen lässt, desto realer wirken sie. Die Frage von Gesicht und Maske stellt sich nicht mehr.

Mit prototypischen Fotografien abgetakelter Schauspielerinnen und Models brachte sich Sherman Anfang der Nullerjahre wieder selbst ins Spiel, nachdem sie in den Neunzigern nur noch Puppen, Puppenteile, Dreck und schimmeliges Essen in verschiedenen Konstellationen fotografiert hatte. Die Hängung der Ausstellung nimmt auf diesen bemerkenswerten Wiedereintritt bei gleichzeitiger Neu-Fokussierung auf das Porträtgenre vor reduzierten Hintergründen wie etwa bei den „Hollywood/Hampton Types“ oder den „Clowns“ (2003–2004) jedoch keine Rücksicht. In der Berliner Ausstellungsdramaturgie wird man stattdessen Zeuge eines früh beginnenden, sanften Überblendens in die unbeseelte Welt der Dinge, die im finalen Ausstellungsraum im Foto zweier sich küssender Gesichtsprothesen gipfelt. Kannte Regisseur Chris Cunningham eigentlich dieses Bild, als er seinerzeit an seinem berühmten Androiden-Love-Clip für Björk herumwerkelte?

Nun rätselt man, ob diese Augen, die hinter einer Knautschgummimaske funkeln, noch die eines lebendigen Models oder schon Implantate aus einer Fachhandlung für medizinische Modelle sind oder ob man die gemusterte Schärpe, die zwei nackte Plastik-Unterleibstorsi unterschiedlichen Geschlechts elegant verbindet, nicht schon einmal bei den altmeisterlichen Vorbildern nachempfundenen „Old Masters“ (1988–1990) gesehen hat.

Doch bevor man in diesem Raum steht, ist man einen langen Weg durch das Sherman’sche Werk gegangen. Zu sehen ist die frühe, noch in Schwarzweiß und im Kleinformat abgezogene Serie „Bus Riders“(1976/2000), für die Sherman die Posen und Bekleidungsstile verschiedener Charaktere aus dem öffentlichen Nahverkehr in ihrem Studio nachstellte.

Den wunderbaren „Fairy Tales“ und „Disasters“ voller Düsternis und lauernder Gefahr folgen diverse Modebilder. Es wäre gar nicht nötig gewesen, ihnen eine eigene Abteilung zu widmen. Stehen doch alle Sherman-Bilder in untergründiger Beziehung zur Welt der Mode und ihren schönen Gräuelwesen.

Als Grundlage ihrer Arbeit formulierte Sherman einmal schlicht: „Ich versuche, in meiner Arbeit das, was als hässlich gilt, zum Ausgangspunkt einer anderen ‚Schönheit‘ zu machen, die hoffentlich nicht so verlogen ist.“ Stimmt schon: Nach zwei Stunden voller wahrer Schönheit im Museum fällt es zunächst tatsächlich schwer, sich wieder in die hässliche Welt da draußen einzufinden.

Cindy Sherman. Martin-Gropius-Bau, bis 17. September, Mi.–Mo. 10–20 Uhr, Dienstag geschlossen. Katalog: Flammarion, 49,90 €