: Operation Morgenröte 2010
NRW-SPD-Chefin Kraft schließt eine Koalition mit der Linkspartei nach der Landtagswahl 2010 nicht mehr aus. SPDler begrüßen die Kehrtwende – doch die NRW-Grünen sind skeptisch
VON KLAUS JANSEN UND MARTIN TEIGELER
Es sind unvorstellbare Bilder, die Hannelore Kraft neuerdings heraufbeschwört: NRW-Wahlabend im Mai 2010. Eine linke Mehrheit im Landtag. SPD, Grüne und „Die Linke“ haben die Wahl gewonnen und liegen sich in den Armen – trinken womöglich Rotkäppchen-Sekt zusammen auf den Machtwechsel. Unvorstellbar? Erstmals hat SPD-Landeschefin Kraft von einer möglichen Linkskoalition gesprochen, die CDU-Ministerpräsident Jürgen Rüttgers ablösen könnte. Eine „rechnerische linke Mehrheit“ werde „wahrscheinlicher“, sagte Kraft in dieser Woche. Und: „Ich halte es für einen Fehler, die Linken in die Schmuddelecke zu stellen.“
Eine Koalitionsaussage sei Krafts Ansage auf gar keinen Fall, aber eine Kehrtwende doch, heißt es aus der NRW-SPD. Nach jahrelangem Kampf gegen die Ex-PDS schlagen die Sozialdemokraten neue Töne an. Nachdem es zuletzt der Kölner Parteilinke und Bundestagsabgeordnete Karl Lauterbach für „verrückt“ erklärt hatte, mit den Taliban, aber nicht mit der Linkspartei zu verhandeln, legen nun selbst Parteirechte die Kommunistenangst ab. „Kraft gibt eine neue Richtung vor, die durchaus vernünftig ist“, sagt der Duisburger Bundestagsabgeordnete Johannes Pflug. Auf Länderebene könne er sich eine Koalition mit den Linken vorstellen. Pflug gehört dem „Seeheimer Kreis“ in der SPD an, den eher Konservativen – jenem Zirkel von Gerhard-Schröder-Fans, Premium-Biertrinkern und Mittelklasse-Autofahrern, die zu den treuesten Unterstützern des Berliner Reformkurses der letzten Jahre zählen. „Wir müssen weiter Agenda 2010 machen – aber sozial flankiert“, sagt Pflug. Auf gar keinen Fall dürfe die SPD „die Linke links überholen“.
Die SPD sollte nicht wieder die „altsoziale“ Richtung einschlagen, sondern müsse mit einer „neuen Gerechtigkeitsphilosophie“ auf „Mitte-Kurs“ bleiben, sagt auch der Politikwissenschaftler Karl-Rudolf Korte von der Universität Duisburg-Essen. Die Kehrtwende der NRW-SPD hin zu einem neuen Umgang mit der Linken hält er dennoch für richtig. „Es ist besser, offensiv mit der Linken umzugehen“, sagt Korte.
Inhaltlich einigen könnten sich die von Kraft auf einen vorsichtig anti-neoliberalen Kurs festgelegte SPD, die Hartz-kritischen NRW-Grünen und die Linke wohl auf ein Minimalprogramm: Gemeinschaftsschule, Stopp der Privatisierungen und andere Revisionen der Rüttgers-Politik.
Doch der Weg bis dahin ist noch weit: „Die Linkspartei existiert auf Landesebene de facto gar nicht“, sagt die grüne Landesvorsitzende Daniela Schneckenburger. Obwohl im Moment ein „kleiner Hype“ um die Linke entstanden sei, sei es viel zu früh, um über mögliche Kooperationen nachzudenken. „Noch wissen wir gar nicht, wie sich die Linke Politik im Land vorstellt. Und wenn sie konkret wird, kommen dabei rückständige Positionen wie in der Kohlepolitik heraus“, sagte Schneckenburger der taz. Auch der frühere Grünen-Chef und heutige EU-Abgeordnete Frithjof Schmidt will „jetzt nicht über 2010 spekulieren“, sondern mit der Linken „politisch streiten“. Noch glaubt er nicht an einen Landtagseinzug der Ex-PDS. „Die Linke ist nur in den Ballungsräumen an Rhein und Ruhr stärker als fünf Prozent – nicht in der Provinz“, sagt der Grünlinke Schmidt.
Die amtierende schwarz-gelbe Regierung reagierte gestern nicht auf Kraft und die Perspektive einer roten Morgenröte. Die CDU schickte ihren Nachwuchs vor. Junge-Union-Chef Sven Volmering attackierte Hannelore Kraft als „machtgierige und geschichtsvergessene Politikerin, die nicht von einem ernsthaften Flirt mit einer linksextremistischen Partei zurückschreckt“.
Der Politologe Karl-Rudolf Korte warnt die CDU, den Gegner zu unterschätzen: „Jürgen Rüttgers hat überhaupt keine strukturelle Mehrheit in NRW – genauso wenig wie die SPD.“