„Restschulen gibt es immer“

Für mehr gemeinsames Lernen soll die designierte Bremer Bildungssenatorin Renate Jürgens-Pieper sorgen. Die Abschaffung des dreigliedrigen Schulsystems hält sie zwar für wünschenswert, aber nicht durchsetzbar

RENATE JÜRGENS-PIEPER, 56, Gesamtschul-Lehrerin und SPD-Mitglied, war bis 2003 Kultusministerin in Niedersachsen.

taz: Frau Jürgens-Pieper, Sie haben von Rot-Grün den Auftrag, an den Schulen mehr gemeinsames Lernen zu ermöglichen. Was spricht dagegen, das gegliederte System abzuschaffen?

Renate Jürgens-Pieper, designierte Bremer Bildungssenatorin: So einfach ist das nicht, das kann nicht mit einem Federstrich von oben machen. Dafür benötigt man Zustimmung. Deshalb müssen wir jetzt vor allem über Qualität reden.

Aber so lange es Gymnasien gibt, bleibt das alte Gesamtschul-Problem bestehen: Eltern aus „besseren Kreisen“ werden dafür sorgen, dass ihre Kinder unter sich bleiben.

Wenn die Gesamtschulen von Eltern nicht nachgefragt werden, dann haben sie ein Problem. Sie müssen in Konkurrenz zu den Gymnasien bestehen können.

Aber warum nutzt man nicht die Chance: SPD und Grüne wollen die gemeinsame Schule bis zur 10. Klasse und auch Ihnen liegt das am Herzen.

Ich habe einen Auftrag, der heißt, mehr gemeinsame Schulzeit zu ermöglichen. Wie weit das gehen kann, will ich erst diskutieren, wenn ich Senatorin bin. Es geht ja nicht nur darum, Unruhe in den Schulen zu vermeiden, die jetzt schon einiges an Reformen hinter sich haben, sondern vor allem um den Elternwillen.

In Bremen haben sich sogar die Gymnasial-Eltern im Zentralelternbeirat für die Gemeinschaftsschule ausgesprochen.

Ja, das finde ich hochinteressant.

Dann kann man das gegliederte System doch abschaffen.

Wenn Sie das Gymnasium, an das die Eltern ihre Kinder schicken, die sich entsprechend artikulieren können, schließen würden, hätten Sie einen riesigen politischen Krach. Mir geht es darum, dass sich die Schulen weiterentwickeln und alle Schulen alle Abschlüsse anbieten können. Das würde auch die Sekundarschule, in der Haupt- und Realschule zusammengefasst sind, sehr aufwerten. Anders als über so eine vorsichtige Transformation werden Sie das in Deutschland nicht hinbekommen.

Sie haben sich dafür ausgesprochen, das Sitzenbleiben abzuschaffen. Warum?

Das hat auch etwas mit gemeinsamen Lernen zu tun und damit, sich um die Kinder zu kümmern. Wir haben im Gesamtschulbereich und in den Grundschulen in Niedersachsen die Erfahrung gemacht, dass es für die Leistungsförderung nicht sinnvoll ist, ein Kind sitzen zu lassen. Die Schülerleistungen werden nicht besser, es demotiviert sie und die Schüler werden älter. Und wir haben so schon das riesige Problem in Deutschland, dass unsere Absolventen zu alt sind.

Sie wollen das Sitzenbleiben in Bremen also abschaffen?

Ja, aber ich will erst einmal sehen, wie die Koalitionspartner auf so einen Vorschlag reagieren. Auf jeden Fall werden wir uns mit der Abschulung beschäftigen. Dass eine Schule ein Kind aufnehmen und wieder abstoßen kann, anstatt es es zu fördern, es einfach weiter nach unten durchreicht – so etwas gibt es in den erfolgreichen PISA-Ländern nicht. In Deutschland gilt es immer noch als Qualitätskriterium, möglichst viele auszusortieren.

Aber doch nur, weil es etwas gibt, wohin man sortieren kann – früher die Hauptschule, jetzt die Sekundarschule.

Im gegliederten Schulsystem gibt es immer Schulen, in denen sich die Schüler sammeln, die niemand will.

Wo erwarten Sie auf Seiten der Lehrer Widerstände?

Ich weiß, dass es bei der Einführung der verlässlichen Grundschule in Niedersachsen und Bremen mit der Präsenzzeit und der höheren Anwesenheitszeit Probleme gegeben hat. Das wird bei der Ganztagsschule wieder so sein, von denen wir ja pro Jahr zwei in gebundener Form ausstatten werden, also mit Nachmittagsunterricht. Da müssen wir uns natürlich über die Arbeitsbedingungen unterhalten. Es reicht nicht, einen Stuhl ins Lehrerzimmer zu stellen. Wir brauchen Rückzugsmöglichkeiten, um auszuspannen und sich auf den Unterricht vorbereiten, zu korrigieren. Dafür muss es Arbeitszimmer geben.

INTERVIEW: EIKEN BRUHN