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Archiv-Artikel

Lokale Bautraditionen weiterdenken

EHRUNG Diébédo Francis Kéré, der in Burkina Faso, Sierra Leone und Deutschland baut, erhält den Schelling-Architekturpreis und teilt ihn mit seinen Mitbewerberinnen aus Bayern und Brasilien

Die Stiftung hat sich zu einer ambitionierten Initiative entwickelt, die den humanistischen Diskurs in der Baukultur schärfen will

Sie stehen für eine ökologisch nachhaltige Architektur und sozial bestimmte Projekte, die drei ArchitektInnen, die dieses Jahr für den Schelling-Architekturpreis nominiert waren: Anna Heringer aus dem oberbayerischen Laufen, Carla Juaçaba aus Rio de Janeiro und Diébédo Francis Kéré, der Berliner Architekt aus Burkina Faso. Und damit vertreten sie etwas ganz anderes als der Namensgeber der Schelling-Architektur-Stiftung.

Gegründet wurde die Stiftung 2005 von der Innenarchitektin Gertrud Schelling-Karrer zur Erinnerung an ihren Mann, den Karlsruher Architekten Erich Schelling (1904–1986). Er verkörpert das Sinnbild einer deutschen Männerbiografie im 20. Jahrhundert: Als Mitglied der SA und der NSDAP setzte er ab 1933 seine Karriere fort und wurde mit der Umgestaltung von Straßburg beauftragt, wozu es nicht kam. Nach dem Zusammenbruch des Naziregimes konnte er sein Können beim Wiederaufbau voll entfalten und die stark zerstörte Fächerstadt Karlsruhe mit Friedrich Weinbrenners klassizistischem Stadtgrundriss prägend überformen.

Als Vertreter der Nachkriegsmoderne wurde er durch einige spektakuläre Bauten in Karlsruhe sehr bekannt, wie der 1953 eingeweihten Schwarzwaldhalle in Form eines gekrümmten Nierentisches, einer herausragenden Ingenieurleistung, der ersten Hallenkonstruktion, die mit einem selbst tragenden, parabolischen Hängedach aus Spannbeton konstruiert wurde. Er baute unter anderem das Wildparkstadion (KSC), zahlreiche Bank- und Landesgebäude, das Theater in Schweinfurt. Bereits 1955 erstellte er den Generalbebauungsplan des Kernforschungszentrums in Karlsruhe, realisierte dort etliche Gebäude, samt Forschungsreaktor.

Die Stiftung, die ihre Preise in Karlsruhe alle zwei Jahre vergibt, hat sich zu einer ambitionierten Initiative entwickelt, die den humanistischen Diskurs in der Baukultur schärfen will und damit den ewig gleichen Stilfragen einer Überflussgesellschaft etwas entgegensetzt. Sie dient der „Förderung und Prämierung zukunftsweisender Entwurfsideen und Projekte“ und stellt fundierte Beiträge zur Architekturtheorie heraus.

Zukunftsweisend ist die Arbeit von allen drei Nominierten. Anna Heringer engagierte sich früh in Entwicklungsländern und suchte kulturelle Eigenarten in ihre Baukonzepte miteinzubeziehen; berühmt ist ihre Schule in Rudrapur, Bangladesch. Sie steht für Nachhaltigkeit, setzt ortsbezogenen Materialien und traditionellen Baustoffe ein, baut Brücken zwischen Kontinenten auf, wurde dafür mit dem Aga Khan Award for Architecture ausgezeichnet.

Das bekannteste Bauwerk von Carla Juaçaba ist der 2012 entstandene Pavillon „Humanidade“ an der Forte de Copacabana in Rio de Janeiro: eine kulissenartige, lineare Konstruktion, die sich wie eine Fata Morgana hinter den bürgerlichen Häusern erhebt und dem Meer entgegenschwebt. Diese architektonische Vision des Licht- und Luftdurchlässigen ist ein realer Ausstellungsort, mit Hängeflächen für Kleinteiliges innen, mit großformatigen Signalschriften außen; das Publikum erfährt eine völlig neue Stofflichkeit von Raum. Wie bei anderen ihrer Bauten, lässt sich auch hier das Baumaterial komplett recyceln. Die Architektin entwickelt so die brasilianische Moderne weiter, experimentiert mit Material und Größe im Diskurs mit sozialem Raum.

Diébédo Francis Kéré studierte an der TU Berlin und wurde bekannt durch kommunale Projekte in Afrika, besonders durch sein Konzept für das Operndorf in Burkina Faso von Regisseur Christoph Schlingensief. Seine Architektur bewegt sich zwischen den Kulturen: In seinem Heimatdorf Gando baute er mit einfachsten Mitteln eine Schule, wofür er den Aga Khan Award for Architecture erhielt. Erst kürzlich gewann er mit Man Made Land den ersten Preis für die Umgestaltung des Areals der Taylor Barracks im Mannheimer Osten, indem er eine große begrünte Brücke über eine Bundesstraße als neuen Stadteingang formulierte. In Münster wird er das Gelände der Oxford-Kaserne umformen, engagiert sich aber gleichzeitig bei einem Schulbau für Mädchen in Sierra Leone, einer Strohkonstruktion.

Auf Keré fiel am 12. November bei der Preisentscheidung und -verleihung die Wahl. Weil er „mit einer großartigen, menschlichen Geste“, so der Vorsitzende Wilfried Wang, seinen Preis mit den beiden Mitstreiterinnen teilen will, wurde das Preisgeld auf 30.000 Euro erhöht.

Der Preis für das Lebenswerk ist diesmal Juhani Pallasmaa gewidmet, einem der profiliertesten Architekten und Architekturtheoretiker Finnlands. Die Laudatio hielt die Berliner Architektin Louisa Hutton.

RENATA STIH