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Archiv-Artikel

Das entscheidende Spiel

KRIMIS Kommende Woche wird gemordet, was das Zeug hält: Beim 5. Krimimarathon lesen unzählige Schriftsteller aus ihren Werken. Auch unser Autor. Vielleicht auch diesen Text

Stephan Hähnel

■ 53, aus Berlin, war unter anderem Schlosser, Kneipenbetreuer, Wirtschaftsingenieur und Finanzbuchhalter. Heute schreibt er Bücher und Geschichten für Anthologien. Zuletzt erschien „Gefundenes Fressen“ im Jaron Verlag.

VON STEPHAN HÄHNEL

„Reicht es nicht, wenn du am Wochenende Fußball schaust? Ist ja nicht auszuhalten dieses ‚Boaa! Neeeiiiiinn! Uumm!‘ Man könnte glauben, du hast Schmerzen. Und diese ewigen Beschimpfungen des Schiedsrichters. Du bist Professor für Biophysik an der TU Berlin. Eine international geachtete Kapazität.“ Jana Stemmler war ernsthaft sauer, sortierte die Kissen auf dem Sofa ihrer hochherrschaftlichen Charlottenburger Wohnung aus der Gründerzeit, verpasste ihnen mit einem Handkantenschlag Form und platzierte sie so, dass sie als Bollwerke wider die Gemütlichkeit dienten. Dann trug sie ihre Einkäufe in die Küche.

„Schatz! Heute ist Champions League! Halbfinale. ManU gegen Benfica. Der Sieger spielt gegen Hertha.“ – „ManU? Was soll das denn sein? Manuela Sportvereinigung? Und Benefica, wie das schon klingt.“ Stemmler verdrehte die Augen. Dass seine Frau keine Ahnung von Fußball hatte, war ja noch zu ertragen, dass sie ständig alles kommentieren musste, aber nicht. „ManU ist die Kurzform von Manchester United! Eine englische Fußballmannschaft. Und Benfica steht nicht für etwas zweifelhaft Erotisches, sondern ist eine Mannschaft aus Portugal. Benfica Lissabon. Ich frage dich doch auch nicht, was du für seltsame Kräuter kaufst und in dein Essen mischst.“ – „Seltsame Kräuter?“, echauffierte sich seine Frau und warf eine Packung kanadischer Eismeerkrabben schwungvoll auf die Marmorarbeitsplatte. Einen Augenblick lang schien es so, als unternahmen die Viecher ihren letzten Fluchtversuch. „Ich wollte damit nur sagen, dass ich dein Essen wertschätze, ohne wissen zu müssen, zu welchem Zeitpunkt du etwas in der Pfanne umdrehst.“

Dennoch war bei ihr eine Zeit lang der Ton weg, wie er gerne ihr Schweigen umschrieb. Offensichtlich eine Form der Bestrafung. Quasi eine verbale gelbe Karte. Ohne ihn zu beachten, sortierte sie die anderen Einkäufe in ihre Speisekammer ein. Es war ihre Idee, den Raum zu einem Aufbewahrungslager umzufunktionieren. Der Kampf, ob die zwei mal vier Meter als Archiv oder als Kammer für Lebensmittel genutzt werden sollte, entschied sich, als Handwerker sie isolierten, um eine gleichmäßige Temperatur zu gewährleisten. Ihm blieb nichts anderes übrig, als sein Arbeitszimmer mit Regalen zuzustellen. Sein Versuch, ein paar Aktenordner in einem freien Fach des Aufbewahrungslagers unterzubringen, führte dazu, dass seine Frau die Speisekammer künftig abschloss. Wie bei einem Fußballspiel war auch hier jeglicher Protest sinnlos.

Sein Alltag war weitgehend nach ihrem Gutdünken organisiert. Aber nach 20 Jahren Ehe war es zu spät, daran etwas ändern zu wollen. Einfachheitshalber hatte er sich damit abgefunden. Einzig die Fußballübertragungen waren die letzte Bastion vor einer vollständigen Aufgabe seiner Selbst. „Wenn du nicht einsichtig bist, dann werde ich heute Abend für meine Freundinnen kochen. Wollen doch mal sehen, wer den längeren Atem hat.“

Sie liebte es, ihre Freundinnen mit ihren Kochkünsten zu verwöhnen. Das Herumwundern über Gestaltungsvarianten, von Wildreis oder Kartoffelpüree mit schwungvoll gestalteten Soßenornamenten brachte ihn jedes Mal an den Rand des Erträglichen. Ihm blieb dann nichts anderes übrig, als die Flucht in sein Arbeitszimmer anzutreten und seiner Pflicht als Doktorvater nachzukommen.

„Schatz! Ich bitte dich inständig, nicht heute Abend. Ich verzichte auf die Bundesliga am Wochenende. Auch zweimal hintereinander.“ Seine Frau nahm keine Notiz von ihm, dafür aber ein Netz mit einer Sorte ihm völlig unbekannter Kartoffeln, die sie in die Speisekammer brachte. Mit gebührendem Abstand folgte er ihr. Artig blieb er an der Tür stehen, einem Hund nicht unähnlich, der reflexartig wusste, dass hier sein Revier zu Ende war.

Jana betrachtete ihn mitleidig. Tief durchatmend, um die Großzügigkeit ihres Angebotes zu unterstreichen, sagte sie: „Gut, wir machen das folgendermaßen: Wir schauen gemeinsam eine Halbzeit. 45 Minuten! Danach schalten wir den Fernseher aus und unterhalten uns.“ Stemmler schaute seine Frau fassungslos an. Abwechselnd schätzte er die Ernsthaftigkeit ihres Gesichtes und die Größe des Raumes ab. Mit dem Mut purer Verzweiflung schlug er schließlich schwungvoll die Tür zu, drehte zweimal den Schlüssel herum und vernahm nur noch ihr dumpfes Klopfen. Er würde den Fernseher etwas lauter als üblich einstellen, damit es nicht weiter störte.

Wo ist die Leiche?

■ Der Krimimarathon Berlin-Brandenburg findet dieses Jahr zum fünften Mal statt. Von kommenden Mittwoch bis Sonntag gibt es mehr als 60 literarische Veranstaltungen in unterschiedlichsten Lokalitäten wie dem Theater im Aufbau Haus, dem Fernsehturm, im Kino Babylon oder Hotel Savoy. In Kooperation mit dem Lesefestival „Stadt, Land, Buch“ wird er neben Berlin auch erstmals in Brandenburg stattfinden, etwa in Potsdam und Joachimsthal.

■ Altersübergreifend werden verschiedenste Genres der Kriminalliteratur abgedeckt: Spannungsliebhabern werden neben Kinder- und Jugendkrimis auch historische, politische oder realistische Kriminalgeschichten präsentiert.

■ Autor Stephan Hähnel, Begründer des Berliner Krimimarathons, liest am Mittwoch aus seinem neuen Roman „Gefundenes Fressen“ über vergiftetes Hundefutter und einen Toten im Mauerpark (18 Uhr, Heinrich-von-Kleist-Bibliothek, Havemannstraße 17, 12689 Berlin). Darüber hinaus gibt es unter anderem Lesungen von Jochen Senf, bekannt als Tatort-Kommissar, den Bestseller-Autoren Veit Etzold oder Volker Kutscher. Freier Eintritt für viele Veranstaltungen, um Voranmeldung wird oft gebeten. Für die übrigen Veranstaltungen reichen die Preise von 1,50 bis 79 Euro.

■ Das gesamte Programm und Tickets unter: www.berliner-krimimarathon.de

Es wurde das sensationelle Aufeinandertreffen europäischer Spitzenmannschaften. Die Stimmung im Stadion war grandios. Der Kommentator erklärte mehrere Spielzüge für genial, die Ballführung beider Stürmer als ein Hochgenuss und die Leistungen der Torwarte als gigantisch. Dennoch konnte in der regulären Spielzeit jeder der Konkurrenten drei Tore erzielen.

Es kam, wie es kommen musste. Es gab Verlängerung. Und als auch in dieser Zeit sich keine der Mannschaften durchzusetzen vermochte, gab es das obligatorische Elfmeterschießen. Schließlich hatte ManU das nötige Glück, als Benfica den alles entscheidenden Schuss gegen den Pfosten setzte. Stemmler sprang begeistert auf und verspürte in jenem Moment Appetit auf etwas Herzhaftes. Nachdenklich schaute er zur verschlossenen Tür. Kein Laut war zu hören. Und schlagartig wurde ihm klar, dass die Speisekammer nur für zweimal 45 Minuten plus Halbzeitpause Sauerstoff bot.

Erschienen im Jaron-Verlag