: Meine Republik
Peter Grohmann, Jahrgang 1937, Kabarettist und Schriftsteller, gehört zu den Begründern des Stuttgarter Clubs Voltaire, des Theaterhauses Stuttgart und des Vereins Die Anstifter. Bekannt wurde er 1989 mit seinem Kabarett „Vom Stasi zum Aldi“
von Peter Grohmann
Alle denken an den Stresstest? Das wäre mir neu. Ich denke an den Sommer, mich plagt die Frage, wo man gut Urlaub machen kann. Ich denke da: ein bisserl Radfahren, gut essen, Halbpension oder so. Könnte Bayern sein, die schwarzen Brüder lassen das Volk mitreden, während hier noch ge-alb-träumt wird. Oder haben Sie was gelesen von einer Verfassungsänderung? Oder gar von einer neuen Verfassung, entrümpelt, aufgepeppt, eine, in der ich vorkomme, ich, der Souverän – und nicht ver-komme, nicht verhungere am langen Arm der Amtsinhaber?
Na schön, dann muss ich das mit der Verfassung halt auch noch selber in die Hand nehmen. Ich bin mir zuverlässiger. Denn das wär's doch: Das Volk schreibt seine neue Verfassung selbst. Das hat sich nämlich geändert im Land, im Kopf: nicht mitbestimmen, sondern selbst bestimmen! Die Verfassung, stell ich mir vor, wird landauf, landab debattiert und geändert und verworfen und begutachtet und schlechtgeredet und in den Himmel gelobt. Wessen Verfassung? Unsere Verfassung. Sie denken, so was geht nicht? Da kennen Sie uns schlecht! Es gehen noch ganz andere Sachen. Also aufstehen, komm, wir gehn die Demokratie wecken. Auf die da oben vertraue ich in der Beziehung nicht. Das hat sich auch geändert.
Dann denke ich daran, mir ein E-Bike anzuschaffen. Ich tät‘s preiswerter kriegen als die meisten – es wäre eine ideale Gelegenheit, der Innenstadt zu entkommen. Nicht dass ich missverstanden werde: hier lebt sich‘s gut. Olgastraße, Werastraße, Kernerstraße, die ganze Ecke eben. Du bist in zwei Minuten mit dem Rad am Bahnhof – wenn nicht gebaut wird. Wenn gebaut wird, dann bist du in zwei Minuten auf der Höhe, denn dann wird die Gegend hier zu Qual, für 10 bis 15 Jahre. So lange müsste ich eben sattelfest bleiben.
Wird gebaut? Wäre der Stresstest ein Stresstest, dann würde nicht gebaut. Wäre Geißler Schlichter statt Richter, dann würde nicht gebaut. Denn sein Schlichterspruch kam ungebeten, seine Vorlagen für die Bahn waren eingleisig. So also zeigt sich mehr und mehr in diesen Tagen, dass diese Nummer des Mitbestimmens eine Luftnummer war – wie der Stresstest oder auch, wenn's denn zustande kommt, die Volksbefragung oder Volksabstimmung. Merke: Wir sind doch hier nicht in Bayern!
Wie die Zukunft aussieht? Fragen Sie Geißler, der sagt heute schon, in scheinheiliger Neutralität, dass S 21 kommt, komme, was solle. Solchen Schiedsrichtern ist ein Strich durch die Rechnung zu machen. Und solchen Parlamentariern, die sich und ihr Mandat und ihre Parteien am Nasenring von der Bahn durch die Republik führen lassen. Ich hab kaum Hoffnung auf Leute, die keinen Arsch in der Hose haben. Wyhl und Brokdorf und Wackersdorf – das hat das Volk verhindert. So sieht politische Partizipation in Zukunft aus.
Und was das Denken angeht: Wir haben immer schon bei Bahnhof nicht nur Bahnhof verstanden, sondern auch Demokratiedefizite, Vergeudung von Volksvermögen und Ressourcen, keine Rücksicht auf Verluste, denn Verluste trägt immer das Volk. Nur Profite werden privatisiert. Auf diesen Erkenntnisgewinn tät ich setzen, wenn ich an meiner Stelle wäre.