: Suchmaschine für die Urheber der „Entarteten Kunst“
AUFKLÄRUNG Auf taz.de findet sich per Link die Harry-Fischer-Liste, mit der nach Werken NS-verfolgter, meist jüdischer Künstler gesucht werden kann
■ Die sogenannte Harry-Fischer- Liste gilt als einziges komplettes Verzeichnis der Kunstwerke, die 1937 als „entartet“ verfemt und aus den Museen entfernt wurden. Die Liste mit etwa 16.000 Einzelposten wurde 1941/42 im Reichspropagandaministerium als Bilanz erstellt. Nach 1945 galt die vollständige Liste lange als verschollen.
■ 1997 tauchte die Liste im Nachlass des jüdischen Kunsthändlers Harry Fischer (1903–1977) im Victoria and Albert Museum London wieder auf, blieb aber unter Verschluss. Erst 2014 hat das Museum das Verzeichnis veröffentlicht.
■ Die taz-Suchmaschine zur Liste: kunstraub.taz.de
VON THOMAS GERLACH
Über Jussuf Abbo ist kaum etwas bekannt. 1888 in Palästina geboren, studierte Abbo ab 1911 an der Hochschule für Bildende Künste in Berlin. Der Bildhauer und Grafiker wurde Mitglied des Deutschen Künstlerbunds. Abbo lebte bis 1935 in Deutschland. Dann flieht der Palästinenser jüdischen Glaubens vor der Rassenverfolgung nach London.
Zwei Jahre später durchkämmten NS-Kunstkommissionen alle staatlichen Museen und konfiszierten Werke der „Verfallskunst“, darunter 23 Grafiken und Drucke von Abbo. Als „entartete Kunst“ sollten seine Werke nicht mehr in Deutschland zu sehen sein, so wie Hunderte Werke verfemter Künstler wie Otto Dix, Max Pechstein, Paul Klee, Wassily Kandinsky, Ernst Ludwig Kirchner oder Lyonel Feininger. Doch im Gegensatz zu diesen ist Abbo nahezu vergessen – so wie viele der 1.421 geschmähten Künstler. Die Werke und ihre Urheber sollten aus dem Gedächtnis der Deutschen getilgt werden.
Jetzt sind sie wieder da. Seit dem 1. November bietet die taz auf taz.de (siehe Infokasten) eine Suchmaschine, mit der sich alle Künstler, deren Arbeiten als „entartet“ in der sogenannten Harry-Fischer-Liste aufgeführt sind, finden lassen. Die Liste entstand 1941/42 in Joseph Goebbels’ NS-Propagandaministerium und erfasst nahezu alle Werke der „entarteten Kunst“, ihre Urheber, Verkäufer und ihren Verbleib. Rund 16.000 Kunstwerke und -mappen, samt Künstlernamen, Titel, Technik und Raubnummer, oft mit Namen des Kunsthändlers und ihre Deviseneinnahmen. Die komplette Liste tauchte zwar 1997 in London wieder auf, ist aber erst seit diesem Jahr öffentlich zugänglich. Kurz bevor der sogenannte Gurlitt-Skandal die Öffentlichkeit erreichte, kam Hans Prolingheuer in den Besitz einer Kopie. Als erstmals Bilder aus der Sammlung von Cornelius Gurlitt präsentiert wurden, schossen Spekulationen ins Kraut. Anlass für den Dortmunder Kirchenhistoriker, in einem Index sämtliche Künstler zu erfassen, deren Werke aus den Museen entfernt wurden. Prolingheuer hat dem taz-Ressort Reportage und Recherche dieses Suchsystem zur Verfügung gestellt, um es einer möglichst großen Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Er ist Grundlage der Suchmaschine, die in Zusammenarbeit mit OpenDataCity entstanden ist.
Der Blick in die vergilbten Seiten, die Maschinenschrift, die akkuraten handschriftlichen Einträge, die Namen der Kunsthändler, lassen das Ausmaß dieses Staatsraubs erahnen, der bis heute nicht gesühnt ist. „Entartete Kunst“ kann legal gehandelt werden. Hitlers Gesetz von 1938, das den Raubzug rechtlich erlaubte, wurde in der Bundesrepublik nie kassiert.
Auf 39 Seiten hat Prolingheuer Namen zusammengetragen; der des verfemten Jussuf Abbo ist der erste. Abbos Werke hingen in Hamburg, Mannheim, Chemnitz. Heute werden seine Grafiken für 140 Euro bei Ebay angeboten. Zur Herkunft der Werke findet sich nichts. Ein Blick in die Liste könnte erhellend sein.
Jussuf Abbo starb 1953 in London. Zuletzt soll er sich mit Gelegenheitsjobs verdingt haben.
■ Thomas Gerlach, 50, arbeitet im taz-Rechercheressort. In der taz vom 1. November schrieb er unter dem Titel „Zeile für Zeile“ über verschollene „entartete Kunst“