: Zahl der Studierenden sinkt
Mit Einführung der Studiengebühren gibt es weniger Immatrikulierte an den niedersächsischen Unis. Die SPD sieht ein „Alarmsignal“, der Minister Studierende noch längst nicht an der Armutsgrenze
VON KAI SCHÖNEBERG
Die Zahl der Studierenden in Niedersachsen ist in diesem Semester offenbar stark gesunken. Ob das an den Studiengebühren in Höhe von 500 Euro liegt, die ab dem Sommersemester 2007 erstmals alle Studierenden zahlen müssen, ist allerdings umstritten. Da es mehr Abiturienten im Land gebe, sei das ein echtes „Alarmsignal“, sagte SPD-Hochschulexpertin Gabi Andretta. Vor allem bildungsferne Schichten würden durch die Gebühren vom Studium abgehalten. Sie seien eine „nicht zu überwindende Hürde für Kinder aus einkommensschwachen Familien“. Die SPD, sagte Andretta, „wird nach der Regierungsübernahme 2008 die Studiengebühren wieder abschaffen“. Davor stehen allerdings noch Landtagswahlen im Januar.
Laut Recherchen der taz sind in diesem Semester an allen großen Hochschulen im Land weniger Studenten eingeschrieben. An der Universität Göttingen sank die Zahl binnen Jahresfrist um 1.800 auf 22.200 Studierende. Ein ähnliches Bild zeigt sich in der Landeshauptstadt: In Hannover sind zur Zeit nur noch 20.500 Studenten eingeschrieben, 7,7 Prozent weniger als im vergangenen Sommersemester. In Oldenburg gibt es im Sommersemester 2007 noch 10.200 Studenten, laut Universitäts-Angaben 500 weniger als vor einem Jahr. An der Technischen Universität (TU) Braunschweig sank die Zahl der Eingeschriebenen von 11.600 auf 10.800. Besonders deutlich ist der Rückgang in Osnabrück: Hier sind in diesem Sommersemester nur noch 8.133 Studierende immatrikuliert – 16,2 Prozent weniger als vor einem Jahr.
Mit den Studiengebühren sollen pro Jahr rund 120 Millionen Euro in die Kassen der Hochschulen fließen, die das Geld in die Lehre stecken sollen. Im Wintersemester 2006/2007 mussten zunächst nur die Erstsemester zahlen, seit dem Sommersemester gilt die Uni-Maut für alle.
Da laut einer Untersuchung des Deutschen Studentenwerks jeder dritte Studierende mit weniger als 640 Euro im Monat auskommen muss, „sind 500 Euro Studiengebühren pro Semester keine Peanuts“, sagt Andretta. Nur 17 Prozent der Kinder aus Arbeiterfamilien nehmen laut Studentenwerk noch ein Studium auf. Die Gebühren wirkten eher kontraproduktiv auf den Fachkräftemangel.
„Bedauerlich“ findet Helga Wilhelmer, Dezernatsleiterin an der Universität Oldenburg, dass die Abiturienten dem Studium den Rücken kehren. „Arbeiten und Studieren ist mit der Umstellung auf die eher verschulten Bachelor- und Master-Studiengänge ohnehin schwieriger geworden.“ Die Zahl der Beurlaubungen habe sich in Oldenburg im Vergleich zum Vorjahr auf 2.000 verdoppelt. Das Studiendarlehen hätten hier nur 200 Studenten, also „sehr wenige“ in Anspruch genommen. „Sie haben Scheu, sich zu verschulden“, betont Wilhelmer. Die Uni versuche nun, dem Rückgang mit einem Teilzeitstudium entgegenzuwirken, um die Studenten zu entlasten.
Von einem „Trend“ wollte das Wissenschaftsministerium gestern nicht sprechen, zumal dort die aktuellen Zahlen nicht erhoben werden. „500 Euro pro Semester sind ein Betrag, der kalkulierbar ist“, sagt Kurt Neubert, Sprecher von Minister Lutz Stratmann (CDU). Nur 4.500 der insgesamt rund 150.000 Studierenden im Land hätten das Angebot eines Darlehens wahrgenommen. „Das Argument, dass die Studenten mit den Gebühren an der Armutsgrenze ankommen“, erklärt Neubert, „erscheint da doch überzogen.“
„Ich habe zum Asta gesagt, regt Euch nicht über 500 Euro auf“, sagt Jürgen Hesselbach, Präsident der TU Braunschweig. Einen Abschreckungseffekt durch die umstrittenen Gebühren sieht er kaum, „da ich ja einen Kredit aufnehmen kann und sich die Investition lohnt“. Vielmehr sind die sinkenden Zahlen für ihn eine seit Jahren zu beobachtende „schleichende Tendenz“. Die Abneigung, naturwissenschaftliche Fächer zu belegen, sei besorgniserregend. Allein in Niedersachsen sind laut Hesselbach 5.000 Studienplätze im Ingenieurbereich unbesetzt.
„Unglaubwürdig und scheinheilig“ sei die Forderung nach der Abschaffung der Gebühren, entgegnete Minister Stratmann. Die Mindereinnahmen könne „niemand“ kompensieren. Ein Zurückdrehen des Gebühren-Rades bedeute „die Rückkehr in die alte Verschuldungspolitik“. Das treffe vor allem „die junge Generation“.