Der Prinz der Herzen

EKD Die Evangelische Kirche in Deutschland hat einen neuen Chef. Er ist renommierter Theologe und erfahren im Umgang mit Menschen. Das ist auch nötig, bei den anstehenden Aufgaben

Das Luther-Jubiläum hat noch ein paar Probleme, die Sterbehilfe drängt aktuell. Und, als langfristige Aufgabe: Wo ist der Platz einer Kirche heute?

VON STEPHAN KOSCH

Evangelischer als der neue Vorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland geht kaum noch. Er kann modern, war der erste Landesbischof auf Facebook, 4.400 Menschen haben dort inzwischen auf „Gefällt mir“ geklickt. Und er verkörpert die Tradition: Der Mann ist der Ururururenkel von Lucas Cranach dem Älteren. Cranach war so etwas wie der Illustrator der Reformation. Nicht nur weil aus seiner Werkstatt zahlreiche Porträts von Luther und seinen Mitstreitern stammen. Cranach lieferte auch die Abbildungen für Luthers Bibelübersetzung und war eng mit den Reformatoren befreundet.

Rund 500 Jahre später steht nun der Nachfahr des Malers an der Spitze der Kirche, die sich aus der Reformation entwickelte. Heinrich Bedford-Strohm wurde am Dienstag – ohne Gegenkandidaten – von der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), dem höchsten Kirchenparlament der hiesigen Protestanten, mit großer Mehrheit zum Ratsvorsitzenden gewählt.

Das oft gebrauchte Wort vom „EKD-Chef“ ist irreführend, die Macht dieses Amtes ist begrenzt, was sich schon darin zeigt, dass es, anders als zum Beispiel das des Militärbischofs, kein Hauptamt ist, sondern Ehrenamt. Der 54-jährige Bedford-Strohm ist und bleibt bayerischer Landesbischof.

Trotzdem ist er nun auch das offizielle bundesweite Gesicht seiner Kirche. Vor allem in der Öffentlichkeit hat das Wort des EKD-Ratsvorsitzenden Gewicht. Er wird in die Talkshows eingeladen, ist Gesprächspartner der Regierung, wenn es um ethische Fragen geht, und soll auch innerkirchlich die Richtung vorgeben. Und dabei wird jedes Wort auf die Goldwaage gelegt, was zu enormem Druck führen kann, gerade auch in den eigenen Reihen. Die Trunkenheitsfahrt von Vorvorgängerin Margot Käßmann lässt sich eigentlich nur durch diesen Druck erklären.

Auch der bisherige Ratsvorsitzende Nikolaus Schneider sprach rückblickend von einer „anderen Art der Anspannung“, die das Amt mit sich bringe. Er ist ein Jahr früher zurückgetreten als geplant, um seiner krebskranken Frau beizustehen. Der zweite Rücktritt, denn die derzeitigen Synodalen verkraften mussten. Nach dem Käßmann-Desaster fielen sie in ein tiefes Loch und wählten den seelsorgerischen ehemaligen Arbeiterpfarrer Schneider in den Ratsvorsitz, der aber in der Öffentlichkeit nie die Wirkung seiner Vorgängerin oder die des intellektuell brillanten Vorvorgängers Wolfgang Huber entfalteten konnte.

Obwohl Käßmann und Huber unterschiedlicher kaum sein könnten, wird Heinrich Bedford-Strohm immer wieder mit beiden verglichen. Im Falle von Huber liegt das nahe, Bedford-Strohm war dessen Assistent in Heidelberg, wurde selbst Professor in New York, Gießen und Bamberg, zwischendurch war er sieben Jahre Gemeindepfarrer. Ein kluger Kopf also, mit klarem ethischem Profil: Frieden, soziale Gerechtigkeit, Klimaschutz und Ökologie. Auch hier folgt er der von Huber gelegten Spur, er ist ebenso wie dieser Sozialdemokrat, könnte aber auch als Realo-Grüner durchgehen. Und so ist es kein Wunder, dass er nach seiner Wahl eine Änderung der Rüstungspolitik anmahnte, davor warnte, in „eine Militärlogik“ abzugleiten, und gleichzeitig aber mit Blick auf den IS-Terror im Irak Gewalt als Option nicht ausschließt. „Menschliche Schutz-verantwortung“, nennt er das. Doch bleibe Gewalt immer mit Schuld verbunden.

So weit der Professor. Doch anders als bei Huber, dessen Intellektualität viele Protestanten zwar immer wieder beeindruckte, sie aber auch frösteln ließ, beherrscht Bedford-Strohm den Herzton, der wärmt. Er ist ein begabter Kommunikator, nicht nur auf Facebook. Dort legt er Wert darauf, dass er auch als Ratsvorsitzender weiterhin jedes Posting selbst verfasst. Er lässt wissen, dass er seine tägliche Bibellosung auf dem iPhone liest. Er nutzt YouTube, wo man ihn als Prediger ebenso erleben kann wie als Geigenspieler, der seine Mitarbeiter im Landeskirchenamt mit einem Weihnachtslied zum Singen und Swingen bringt.

Doch auch auf Kanzel und Bühne wirkt er authentisch, bleibt bei intellektuellen Themen geerdet, menschlich und für jeden verständlich. Vielleicht liegt es daran, dass er zwar beruflich in München residiert, aber nach wie vor mit seiner Frau, einer Psychotherapeutin, und seinen drei Söhnen auf dem Dorf lebt. Und selber Sohn eines Pfarrers ist, den kommunikativen Umgang mit dem christlichen Fußvolk also von klein auf mitbekommen hat. Margot Käßmann wird ohne Frage die protestantische „Königin der Herzen“ bleiben, aber Bedford-Strohm in der Prinzenrolle ist gewiss keine schlechte Besetzung.

Schon bei seiner ersten Rede vor den Synodalen nach der Wahl ließ er einen Blick in sein Innenleben zu, sprach von den großen Erwartungen an ihn, die mit der Wahl seiner Person verbunden sind. Und verwies, ganz der lutherische Theologe, auf die Kernbotschaft des Reformators, dass der Mensch nicht durch seine Taten gerecht werden kann, sondern nur durch den Glauben. Die Botschaft in diesem Moment: Ich werde nicht alle eure Erwartungen erfüllen können, aber das ist auch gut so. So was kommt gut an bei Protestanten. Und das weiß Bedford-Strohm auch.

Ebenso weiß er um die Aufgaben, die vor ihm liegen. In den jetzt laufenden ethischen Debatten über Sterbehilfe oder Krieg und Frieden soll die Kirche Gehör finden. Am Freitag etwa sagte Bedford-Strohm in mehreren Interviews, unter anderem im SWR-Hörfunk, die ärztliche Beihilfe zur Selbsttötung solle nicht gesetzlich geregelt werden: Er wolle keine Gesetze, in denen Bedingungen für das Recht formuliert würden, „sich selbst zu töten und dabei die Assistenz des Arztes zu bekommen“. Abzulehnen seien aber auch strafrechtliche Regelungen, „die dem Arzt das Gefühl geben, er steht mit einem Fuß im Gefängnis“.

Es gehöre auch zum Lebensende, „dass man die Endlichkeit und das Sterben annimmt“. Es könne für den Patienten besser sein, wenn der Arzt sage: „An dieser Stelle beende ich die Therapie und begleite dich beim Sterben.“

Mittelfristig geht es weniger um Ethisches als um ein großes Jubiläum. 2017 sollen 500 Jahre Reformation gefeiert werden. Die Probleme dabei: die Schattenseiten Luthers, zuallererst sein Antisemitismus und sein Frauenbild; das gegenwärtige Verhältnis zur katholischen Kirche, die auch mitfeiern soll, das aber nur bedingt kann; die wachsende Kirchenferne in der Bevölkerung, die gar nicht weiß, was da gefeiert wird.

Und als langfristige Aufgabe – denn dass Bedford-Strohm von der neuen Synode 2015 für eine weitere Amtszeit von dann sechs Jahren bestätigt wird, ist absehbar – muss die große Frage beantwortet, wo der Platz einer Kirche in der Gesellschaft ist, in der immer weniger Menschen Interesse an ihr haben. Wolfgang Huber hatte zum „Wachsen gegen den Trend“ aufgerufen, und damit viele überfordert.

Bedford-Strohm sprach nach seiner Wahl erst mal vom „Aufbruch“ – ein dynamischer Begriff, der gleichzeitig ein klassischer christlich-jüdischer Topos ist, man will ja schließlich ins gelobte Land. Wo aber liegt es heute? Wie kommt man dahin? Wer geht mit? Auf diese Fragen müssen die Protestanten und ihr neuer Ratsvorsitzender noch Antworten finden.

Stephan Kosch ist Redakteur der evangelischen Monatszeitschrift Zeitzeichen in Berlin