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Archiv-Artikel

Wichtige Pfeiler der Erneuerung

betr.: „Eine polnische Warnung“, taz vom 18. 6. 07

Bei all dem Geklingel um die Kaczyński-Brüder und dem kollektiven Aufheulen der etablierten EU-Verfassungsbefürworter über eine andere Sicht der Dinge möchte ich Ihren Autor Igor Stokfiszewski und die polnischen LiteratInnen bitten, nicht aufzugeben und dem neokonservativen Zeitgeist weiterhin zu widerstehen. In fünf oder zehn Jahren sind diese Zwillinge wieder ein Teil der Geschichte und dann werden eure Entwürfe wichtige Pfeiler der Erneuerung sein.

Hier in Deutschland geht es uns ähnlich: Mit Hinweis auf Bedrohungen werden Oppositionelle zu Terroristen gemacht, die SPD reicht die Hand zur Überwachung ihrer Wähler, was Orwell zu einem verzagten Tagträumer werden lässt.

Das Individuum wird zerrieben zwischen den Anforderungen der Arbeitswelt und den sich rasch ändernden Ansprüchen an sich selbst. Und die Intellektuellen? Schwimmen auf der neoliberalen Welle mit. Autoren, die sich dem Zeitgeist widersetzen und alternative Lebensentwürfe hochhalten und durchsetzen? Fehlanzeige.

Deutsche Literaturinteressierte lassen sich die Welt von Wladimir Kaminer erklären und freuen sich über seine unverkrampften Beschreibungen der Welt. Hoffnung in diesen unübersichtlichen Zeiten kommt ausgerechnet aus Brüssel. Die europäische Einigung und deren Institutionen werden weder Polen noch die Slowakei oder Griechenland vergessen und mit rechtlichen und politischen Vorgaben langsam, aber sicher einen zivilisatorischen Rahmen vorgeben, der der Literatur das Erscheinen ermöglicht, wenn auch unter schwierigen Verhältnissen. War eine alternative Sicht der Dinge zu anderen Zeitpunkten der Weltgeschichte einfach? Warum auch. Auf lange Sicht haben sich Freiheit und offener Geist durchgesetzt. Diese Angst der Konservativen werden wir ihnen nicht nehmen.

THORSTEN STANGE, Hamburg