: Der SPD beim Heucheln zuschauen
betr.: „Das Ende der Schönrednerei. Die ablehnende Haltung der Union erfüllt Müntefering mit ‚Empörung‘“, taz vom 20. 6. 07
Die kalkulierte Empörung Münteferings bei der Präsentation des „Kompromisses“ zum Mindestlohn vermag nur schwach zu überdecken, dass die Partei-Elite der Sozis nie an einem flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn interessiert war. Müntefering selbst hat noch auf der 140-Jahr-Feier der Gewerkschaft NGG, die am längsten und hartnäckigsten für einen gesetzlichen Mindestlohn eintritt, im November 2005 offen bekundet, dass er sich höchstens Branchenlösungen, zum Beispiel über eine Ausweitung des Entsendegesetzes, vorstellen könne. Das war auch konsequent, hatte doch die Hartz-Politik der SPD die Lohnspirale nach unten über Zumutbarkeitskriterien usw. erst so richtig in Gang gesetzt.
Das änderte sich erst, als die Linkspartei sich des Themas annahm und die SPD plötzlich merkte, wie populär soziale Gerechtigkeit im Allgemeinen und der Mindestlohn im Besonderen in der Bevölkerung sind. Flugs tat man so, als hätte man mit der Regierungspolitik gar nichts zu tun und sammelte Stimmen für einen gesetzlichen Mindestlohn von 7,50 Euro pro Stunde, stimmte dann aber gegen die eigene Forderung, als die Linkspartei diese als Gesetzentwurf in den Bundestag einbrachte.
Spätestens da wurde klar, dass die SPD sich nicht für Lohndumping, wohl aber für polarisierende Wahlkampfthemen interessiert. Entsprechend sattelten die SPD-Unterhändler in den Koalitionsrunden auch immer noch einen drauf, bis sie wirklich sicher sein konnten, dass die Union sich nicht doch noch auf einen vorzeigbaren Kompromiss einlassen würde. So werden wir in den kommenden Wahlkämpfen der SPD weiterhin beim Heucheln zuschauen dürfen.
Die CDU ist natürlich um keinen Deut besser. Und was bringt die Einigung nun sachlich? Vermutlich gar nichts, denn das Entsendegesetz ist für die Brennpunkte des Lohndumpings wirkungslos, weil dort gar keine Tarifverträge existieren und die Arbeitgeber in der Regel auch kein Interesse an einer Änderung dieses Zustands haben. Ob man dem branchenspezifisch auf dem Verordnungswege über das Mindestarbeitsbedingungsgesetz von 1952 beikommen kann, darf bezweifelt werden. Das alles erfüllt mich mit mehr als „Empörung und ein bisschen Zorn“. KAI BERKE, Hannover