: Besser gar nicht arbeiten
Soziales Weil sein Sachbearbeiter in Urlaub ging, ohne ihm vorher Geld zu überweisen, steht ein 58-Jähriger ohne Geld da. Er gehört zu den Aufstockern, die trotz Arbeit Anspruch auf Unterstützung haben
Bruno Kraft, Erwerbslosenverband
Vier Euro hatte Horst Müller* gestern noch und die müssen bis Samstag reichen, denn frühestens dann wird ihm das Jobcenter etwas überwiesen haben. Müllers Problem: Sein Sachbearbeiter ging in Urlaub, ohne wie abgesprochen die Überweisung von etwa 100 Euro angewiesen zu haben, die Müller laut Gesetz zustehen. Der 58-Jährige ist einer von fast 20.000 Menschen im Land Bremen, die arbeiten und dabei so wenig verdienen, dass sie vom Staat sogenannte „aufstockende Leistungen“ bekommen, in seinem Fall 220 Euro, von denen 117 Euro für Heizung, Strom und Wasser draufgehen.
Hinzu kommen monatlich 300 Euro aus seinem Job: Er trägt Zeitungen aus – auch die taz. Sechs Tage die Woche ist er von halb fünf Uhr morgens bis um acht unterwegs. Müller hat mal ausgerechnet, wie viel Geld er mit seinen 21-Wochenstunden mehr hat als wenn er nicht arbeiten würde und den normalen Hartz-IV-Satz bekäme: 118 Euro. „Aber das ist nicht das Problem“, sagt er, „ich will ja arbeiten.“ Und normalerweise kommt er so über die Runden, aber jetzt ist er zum ersten Mal in 15 Jahren krankgeschrieben und verdient seit zwei Wochen keinen Cent mehr. Er wird pro ausgelieferter Zeitung bezahlt.
„Ich bin gleich mit der Krankmeldung und dem Lohnzettel ins Jobcenter“, erzählt Müller. Dort sei ihm zugesichert worden, er würde wegen des Verdienstausfalls eine höhere Unterstützung bekommen als sonst. Müller verließ sich darauf, rechnete mit 110 Euro und beglich die Nachforderung der SWB von 72 Euro. Außerdem kaufte er die Medikamente, die er für seine chronischen Krankheiten und die akute Erkrankung benötigt. Doch das Geld kam nicht, im Jobcenter erfuhr er, dass sein Sachbearbeiter im Urlaub ist. „Das ist nicht seine Schuld“, glaubt Müller, „die haben einfach zu wenig Leute und kommen nicht hinterher.“ Außerdem hält er es für ein strukturelles Problem, dass diejenigen, die arbeiten, jeden Monat wieder nachweisen müssten, was sie verdient haben. Und stets zunächst weniger ausgezahlt bekommen als ihnen zusteht. Auf diese Weise will das Jobcenter vermeiden, dass zu viel bezahlt wird. Müller: „Wenn ich nicht arbeiten würde, hätte ich einfach zum Monatsanfang mein Geld auf dem Konto und fertig.“
Müller ist kein Einzelfall. Das bestätigt Bruno Kraft vom Bremer Erwerbslosenverband. „Das kann manchmal sogar Monate dauern, bis Geld überwiesen wird“, sagt Kraft, er selbst habe diese Erfahrung gemacht. Für Aufstocker seien die Berechnungen oft so kompliziert und langwierig, „das ist ein Nebenjob, dem hinterherzurennen“.
Ein Sprecher des Jobcenters hingegen sagt, dass die Probleme nur bei unregelmäßigen Einkommen – wie bei Müller – entstünden. Wenn also die Differenz zwischen dem, was das Jobcenter als Einkommen berechnet und dem, was verdient wurde, sehr groß ist. Das, was Müller jetzt passiert sei, sei jedoch „ein Versehen“, sagt Jobcenter-Sprecher Christian Ludwig, „wir wissen ja, wie wenig Geld unsere Kunden haben“. Eigentlich sei immer eine Vertretung organisiert, Stellen abgebaut würden derzeit nicht.
Müller will jetzt auf jeden Fall am Montag wieder arbeiten gehen, egal, was sein Arzt sagt.
*Name geändert