Blaumachen für den guten Zweck

SCHULE Das Kinderrechte-Filmfestival beginnt heute. Schüler haben dafür einen lebensnahen Film über Stress und Freizeit gedreht

■ Dieser und andere Filme für das Kinderrechte-Filmfestival werden heute und morgen, am 20. und 21. November, im Filmtheater am Friedrichshain aufgeführt. Die Vorstellungen sind bereits ausverkauft, interessierte Brandenburger Schulklassen mit Filmideen können sich aber ab jetzt für das Brandenburger Kinderrechte-Filmfestival im Januar anmelden. Die Kosten betragen 150 Euro, die übrigen Kosten tragen verschiedene Stiftungen, darunter die Bundeszentrale für politische Bildung und das Kinderhilfswerk. (lm)

VON LAURA MESCHEDE

Klappe, die erste. Anna sitzt an ihrem Schreibtisch und macht Hausaufgaben. Sie ist gestresst. Gleich im Anschluss beginnt ihre Französischnachhilfe, und danach muss sie noch Klavier üben. Die Zimmertür schwingt auf, ihr kleiner Bruder August stürmt ins Zimmer. „Dädädädädädä“, ruft er und spritzt mit einer Wasserpistole auf ihre Hefte. „Mama!“, ruft er dann. „Anna hat ihre Hausaufgaben nass gemacht!“ Die Mutter glaubt ihm, Schelte für Anna. „Die Hausaufgaben machst du heute Abend fertig!“

Cut. Dem Tonmeister ist der Kopfhörer runtergefallen. Kurze betretene Stille. „Hätte ich vielleicht besser ihr Gesicht nass machen sollen statt ihre Hausaufgaben?“, fragt August. „Jaaaa!“, rufen Kameramann, Tonmeister und Tonassistent. Anna schaut wenig begeistert. Kurze Debatte. Nein, entscheidet das Kollektiv, besser die Hausaufgaben. Aber gedreht werden muss trotzdem noch mal, das Fenster war nämlich auf, das gibt einen schlechten Ton. „Szene 1, Klappe die zweite“. Los!

Alles ganz schön professionell hier, wenn man bedenkt, dass sich das Produktionsteam in der Altersspanne zwischen zehn und zwölf Jahren bewegt. Die Schüler der Klasse 6 der Berlin International School haben das Drehbuch zu ihrem Film selbst geschrieben, haben gelernt, mit Kamera und Ton zu arbeiten und die Szenerie selbst dekoriert – nach ganz schön langer Debatte ohne Justin-Bieber-Foto.

Am heutigen Donnerstag wollen sie ihren fertigen Film auf dem „Kinderrechte-Filmfestival“ vorführen, anlässlich des Internationalen Tages der Kinderrechte. Organisiert wurde das Ganze vom Landesverband Kinder und Jugendfilm Berlin e. V. Sie wollen damit Kinder dazu anregen, sich eigenständig mit der Bedeutung von Kinderrechten für ihr Leben zu befassen. Lebensnah ist der Film tatsächlich.

Szene zwei: Anna sitzt immer noch in ihrem Zimmer, einer Ecke des Klassenraums, die die Schüler mit einem Teppich, einer Lampe und diversen Plakaten zu einem Kinderzimmer umgebaut haben. Ihre Französischlehrerin fragt Vokabeln ab, Anna tut sich schwer. Die Lehrerin schimpft. Ob sie sich denn gar keine Mühe gebe? Doch, sagt Anna, aber außer der Schule und den ganzen Hausaufgaben habe sie noch dreimal die Woche Ballett. Und Klavierstunden. Und jetzt soll sie auch noch Chinesisch lernen. Die Lehrerin schimpft trotzdem. Ein GAU, die größte anzunehmende Ungerechtigkeit aus Kindersicht.

Am Ende des Films, so sieht es das Drehbuch vor, wird Anna versuchen, sich das Leben zu nehmen. „Wir dachten eigentlich, sie sollte sich die Pulsadern aufschneiden“, erklärt die 12-jährige Chantal eifrig. „Aber das wäre zu aufwendig gewesen.“ Deswegen ist es doch das Hochhaus geworden. Wie kommt eine Gruppe von 10- bis 12-Jährigen auf ein solches Thema?

„Klar kennen wir das, dass man viel Stress hat“, sagt Kameramann Joel, „aber natürlich nicht so krass.“ Ein Klassenkamerad mit kurzen blonden Haaren und einer lässigen Sportjacke mischt sich ein. „Ich hatte das vor zwei Jahren auch einmal, da hatte ich neben der Schule noch Judo und Schwimmen und hab das alles nicht so ganz hinbekommen“, sagt er. Und jetzt? „Na ja“, sagt der 11-Jährige und runzelt die Stirn. „Ich habe damit nicht aufgehört. Aber inzwischen habe ich das alles besser organisiert.“

Die Berlin International School ist eine Eliteschule, ein Großteil der Schüler sind Kinder aus Diplomatenhäusern. Wenn sie von Druck sprechen, dann wissen sie, wovon sie reden. „Die Kinder verarbeiten hier schon auch ihre eigenen Erfahrungen“, sagt die betreuende Lehrerin, die mit ihrem Namen nicht in der Zeitung auftauchen möchte. „Von vielen Eltern hier an der Schule geht ein sehr starker Bildungsanspruch aus. Die Kinder verarbeiten in ihrem Film schon auch ein wenig das eigene Gefühl von Ungerechtigkeit.“

Jan Rooschütz, Mitorganisator des Festivals, kennt das Problem: „Das ist an sehr vielen Schulen so. Die Schüler stehen allgemein einfach sehr unter Stress“, sagt er. „Manchmal sagen mir schon Grundschüler, dass sie Angst haben, durch unser Projekt Unterrichtszeit zu verpassen.“

Letzte Szene: Anna steht auf einem Hochhaus und blickt nach unten. Ihr Handy klingelt. Eine SMS von ihrer Mutter. Sie hat eingesehen, dass Annas Wohlbefinden wichtiger ist als ihre Noten. Anna atmet auf, tritt einen Schritt zurück. Sie wird nicht springen. Das Recht auf Freizeit ist das Kinderrecht, um das es im Film der Berlin International School geht.

Abschlussrunde. Wie es ihnen gefallen hat, will Jan Rooschütz von den Kindern wissen. „Super! Wir haben eine Doppelstunde Mathe verpasst!“, ruft ein blonder Junge aus der Mitte des Klassenraums. „Ja!“, ergänzt ein anderer. „Sie haben unseren Tag gerettet!“