: Ein kleines Las Vegas für Norddeutschland
ZOCKEN EU kritisiert Entwurf zum Glücksspiel-Staatsvertrag. Schleswig-Holstein will Alleingang
INGO FIEDLER, UNI HAMBURG
KIEL taz | Onlineglücksspiele, bei denen um echtes Geld gespielt wird, werden bei Jugendlichen immer beliebter. Bis zu 14 Prozent von ihnen verbringen ihre Zeit regelmäßig mit den Spielen, so das Ergebnis einer Studie der Uni Mainz. Die jungen Zocker verlieren beim Spielen nicht nur Zeit, sondern auch jede Menge Geld, bei 18-Jährigen sind es im Schnitt 74 Euro, bei 14-Jährigen 44 Euro – pro Monat.
Ingo Fiedler, Sozialwissenschaftler an der Uni Hamburg, hat die Spiele untersucht und spricht von „Glücksspiel mit Suchtturbo“. Vor allem bei den Sportwetten, bei denen im Sekundentakt gesetzt werden kann: „Spieler im sogenannten Hot-Mode verlieren die Kontrolle über ihr Verhalten“, sagt Fiedler. Dabei findet Onlineglücksspiel in Deutschland offiziell gar nicht statt: Glücksspiele darf nur anbieten, wer eine staatliche Lizenz besitzt. Die Bundesländer arbeiten zurzeit an einem Staatsvertrag, der den Millionenmarkt von Lotto bis Onlinepoker regeln soll. Doch der Entwurf fiel bei der zuständigen EU-Kommission durch. Bis Jahresende muss ein neuer Staatsvertrag stehen, sonst endet das staatliche Monopol.
Das elfseitige Papier der EU-Kommission, das der taz vorliegt, spart nicht mit Kritik an den Plänen der Bundesländer: Es geht um die „Beschränkungen des freien Dienstleistungsverkehrs“, in einigen Punkten sei die „Verhältnismäßigkeit der Maßnahmen nicht nachgewiesen“, und es blieben „Bedenken hinsichtlich der Übereinstimmung mit EU-Recht“. Vor allem stört die Kommission, das nur sieben Anbieter Konzessionen erhalten sollen, mit denen sie legal Spiele im Internet anbieten dürfen. Der alte Staatsvertrag wurde von einem EU-Gericht bereits für ungültig erklärt. Von den Bundesländern kamen bisher verhaltene Reaktionen: Die Stellungnahme der EU-Kommission würde „nun genau geprüft“, hieß es aus Sachsen-Anhalt. Der Thüringer SPD-Abgeordnete Heiko Gentzel warnte, Glücksspiel dürfe „nicht den Kräften des freien Marktes ausgesetzt werden“.
„Die Länder haben sich verzockt“, stellt Wolfgang Kubicki, FDP-Fraktionschef in Schleswig-Holstein, fest. Die schwarz-gelbe Landesregierung in Kiel steht als Einzige nicht hinter dem Vertrag und will ein eigenes Gesetz erlassen, falls es zu keiner Einigung kommt. Damit könnten sich Onlineanbieter in Schleswig-Holstein, im neuen „Las Vegas im Norden“, niederlassen. Das Land verspricht sich dadurch Einnahmen und besseren Spielerschutz, schließlich werde das Gesetz Fragen regeln, die in anderen Teilen der Republik rechtsfreier Raum sind. Kritiker, etwa von Verbänden und Suchtstellen, warnen vor der Liberalisierung: Noch mehr Werbung für Spiele würde die Umsätze, die Zahl der Spieler und der Spielsüchtigen steigern.
ESTHER GEISSLINGER