: Die einzige Kandidatin
Chancen hat die 55-jährige Kandidatin zum Amt des tunesischen Staatspräsidenten keine. Zu groß und zu bekannt ist die Konkurrenz, als dass eine Unabhängige wie Kalthoum Kennou auch nur in die zweite Runde einziehen könnte. Dennoch ist der streitbaren Frau ein Platz in der Geschichte des Geburtslandes des arabischen Frühlings sicher. Sie ist die erste Frau, die sich um das höchste Amt im Staate bewirbt; und das auch noch bei den ersten freien Präsidentschaftswahlen seit der Unabhängigkeit 1956.
Kennou ist vielen aus den Tagen der Rebellion gegen den langjährigen Diktator Zine el-Abidine Ben Ali von Ende 2010 bis Anfang 2011 bekannt. Allerdings nicht unter ihrem richtigen Namen. Die Mutter von drei Kindern postete fleißig bei Facebook unter dem Pseudonym Rabiaa Mesk Ellil. Offen zu posten war damals gefährlich, erst recht für jemanden wie Kennou. Sie ist Richterin und hatte genug Ärger.
Kennou wurde als Tochter eines Gewerkschafters auf einer kleinen Insel im Mittelmeer geboren. In Tunis studierte sie Jura. 1989 wurde sie in den Richterstand berufen. Bald schon legte sie sich mit den Mächtigen an. Sie bezeichnete das Regime Ben Alis immer wieder als korrupt. 2008 beschuldigte sie den Neffen des Diktators, Moez Trabelsi, der Korruption und Geldwäsche und erließ gar Haftbefehl gegen den im Ausland lebenden Mann. Kennou wurde in die Provinz verbannt, ins Landesinnere nach Kairouan und nach Touzeur im Süden, mitten in der Sahara.
Nach dem Sturz Ben Alis am 14. Januar 2011 wurde Kennou an die Spitze des Richterverbandes gewählt und später als Kommissarin an den internationalen Gerichtshof in Den Haag berufen.
Im Wahlkampf tritt sie für Menschen-, Bürger- und Frauenrechte ein. Immer wieder bekommt sie Drohbriefe. Zuletzt von radikalen Salafisten. „Gib das Richteramt auf, oder dein Kopf wird von deinem Körper getrennt“, war da zu lesen. Kennou lässt sich nicht einschüchtern. „Ich hatte keine Angst vor Ben Ali, warum sollte ich dann vor diesen Leuten Angst haben?“ fragt sie. Bis zum Wochenende tourt sie unermüdlich durchs Land. Nach dem ersten Wahlgang am Sonntag wird sie wohl wieder die Politik gegen die Richterrobe tauschen. REINER WANDLER