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Archiv-Artikel

Tödliche Offensive im Gaza-Streifen

Mindestens 13 Menschen sterben bei einem Angriff israelischer Soldaten. Scharfe Kritik von Palästinenserpräsident Abbas an Israels Premierminister Ehud Olmert. Angriffe aus dem Gaza-Streifen auf Israel gehen weiter

JERUSALEM taz ■ Die israelischen Soldaten wurden mit Maschinengewehren und Anti-Panzer-Beschuss begrüßt, als sie gestern erneut in den Gaza-Streifen vordrangen. Zwei Soldaten wurden leicht verletzt, während auf palästinensischer Seite 13 Menschen starben, darunter ein neunjähriger Junge. Ein Armeesprecher teilte auf telefonische Anfrage mit, dass das Vorgehen der Soldaten nicht ungewöhnlich sei. „Unsere Truppen dringen seit dem Ende der Waffenruhe alle ein bis zwei Tage in den Gaza-Streifen vor, um Waffen und Terroristen zu suchen.“ Überraschend sei diesmal lediglich die „harte Gegenwehr“ gewesen.

Unterstützt von Hubschraubern drang die Armee mit Panzern und Panzerfahrzeugen in den südlichen Gaza-Streifen bis zur Stadt Khan Junis vor, wo sie von bewaffneten Hamas-Kämpfern empfangen wurden. Palästinensischen Informationen zufolge gab es außerdem einen gezielten Luftangriff in Gaza, bei dem ein hochrangiger Kommandant des Islamischen Dschihad getötet wurde. Palästinenserpräsident Mahmud Abbas kritisierte die Operationen, die zwei Tage nach dem Gipfeltreffen in Scharm al-Scheich „Zweifel an den Absichten von Israels Premier Ehud Olmert“ aufkommen ließen.

Der Zwischenfall verdeutlicht das offensichtliche Missverständnis zwischen beiden Volksführern. Während Olmert seine Friedensbemühungen vorläufig auf das Westjordanland und die Fatah konzentriert, strebt Abbas eine Lösung an, die den Gaza-Streifen miteinbezieht.

Dort hat er aber keinen Einfluss mehr. Ein diese Woche vom ihm verhängtes Verbot des nichtautorisierten Tragens von Waffen und Sprengstoff wird vorläufig nur im Westjordanland umgesetzt werden. „Auf der Basis des erklärten Ausnahmezustands in den palästinensischen Gebieten werden ab sofort alle bewaffneten Milizen und Brigaden, die nicht zu den Sicherheitskräften gehören, als illegale Organisationen behandelt“, heißt es in der Order des Präsidenten.

Im Gaza-Streifen sorgen seit der blutigen Niederlage der Fatah vor zehn Tagen Mitglieder der Hamas für Ruhe und Ordnung. Bis zur Auflösung der Nationalen Einheitsregierung war die rund 12.000-Mann-starke „Exekutivbrigade“ offiziell dem Innenministerium unterstellt. Seit Ausrufung des Ausnahmezustands kontrolliert die Hamas-Führung die Truppen, die nichts unternehmen, um den Raketenbeschuss auf Israel zu stoppen. Gestern schlugen erneut drei Kassam-Raketen in der Nähe von Sderot ein. Auch am Keren-Schalom-Übergang im südlichen Gaza-Streifen, den in den letzten Tagen Fahrzeuge mit humanitären Hilfsgütern passierten, kam es zu Überfällen und Angriffen mit Mörsergranaten.

Im Westjordanland hingegen unternimmt Abbas endlich die Schritte, zu denen er sich vor vier Jahren verpflichtete, als er mit dem damaligen Premier Ariel Scharon die „Roadmap“, den internationalen Friedensplan unterzeichnete. Das Dekret gilt auch für die Fatah-nahen Milizen der Al-Aksa-Brigaden, die allerdings zum Teil in die offiziellen Sicherheitsdienste eingegliedert werden sollen. Abbas bat zudem darum, die noch in Jordanien zurückgebliebenen PLO-Truppen einreisen zu lassen. Sein Appell an Israel, von weiteren Militäroperationen im Westjordanland abzulassen, blieb bislang unbeantwortet. In der Nähe von Jenin umstellten Soldaten das Haus eines Aktivisten des Islamischen Dschihad und töteten ihn, als er fliehen wollte.

Möglicherweise wird der scheidende britische Premier Tony Blair, der für den Posten des Nahost-Sondergesandten im Auftrag des Nahost-Quartetts vorgesehen ist, auf Israel einwirken. Vor seiner Nominierung nannte ihn Olmert „einen wahren Freund Israels“. Der Sondergesandte soll Abbas bei dem Aufbau staatlicher Institutionen zur Seite stehen sowie technische und wirtschaftliche Kooperation zwischen Israel und den Palästinensern koordinieren. SUSANNE KNAUL

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