War ja nicht alles schlecht damals

WESTALGIE Mit einer Ausstellung im Ephraimpalais erinnert die Stiftung Stadtmuseum an eine verlorene Welt: Westberlin bzw. Berlin (West). Harald Juhnke ist natürlich auch dabei

Früher war ja bereits das harmlos erscheinende Wort „Westberlin“ ein politisches Statement

VON CLAUDIUS PRÖSSER

Berlin, du einzige Stadt in der Welt

wo in allen Richtungen Osten ist

Die Sonne also nie untergeht

sondern immer nur auf

So dichtete Volker Ludwig einst in seiner „Linie 1“ – und meinte damit nur das eine, das westliche Berlin. Die geografische Singularität war nicht die einzige der Halbstadt Westberlin. Sie galt als Insel, aber auch als Sumpf, und dieser sumpfigen Insel, auf der manch sonderbares Gewächs blühte, hat die Stiftung Stadtmuseum anlässlich von 25 Jahren Mauerfall nun eine eigene Ausstellung gewidmet.

Dabei war ja früher bereits das harmlos erscheinende Wort „Westberlin“ ein politisches Statement, nämlich die offizielle Diktion der DDR-Führung, wohingegen der im Schöneberger Rathaus zwischengeparkte Senat auf „Berlin (West)“ bestand. Mit „West:Berlin“ als Titel haben sich die Kuratoren Thomas Beutelschmidt und Julia Novak – beide gebürtige Westdeutsche – insofern für ein neutrales Wording entschieden. Dass sich die Ausstellung im Ephraimpalais am Nicolaiviertel, also im alten Osten, befindet, hat dagegen keine tiefere Bedeutung. Der Stiftung steht im Westen einfach kein Gebäude zur Verfügung.

Man muss es so hart sagen: Der erste Eindruck schreckt ab. Das 1987 rekonstruierte Ephraimpalais ist ein hübscher Rokokobau, eignet sich aber mit seinen niedrigen, stuckbeladenen Decken eher für Spitzwegs als für eine zeitgeschichtliche Schau mit moderner Didaktik. Das Ausstellungsdesign macht es kaum besser. Im Gegenteil: Es sieht aus, als habe jemand aus seinen alten Ivar-Regalen Gerüste gezimmert, sie an die Wände genagelt und im Erinnerungsrausch mit Tafeln und Objekten gepflastert. Schnell noch eine Skulptur in die Mitte des Raumes – Kunst wurde ja auch gemacht in Berlin (West) – und … ach komm, ist doch Platz, stellen wir einfach Knautschke rein, das olle Flusspferd ausm Zoo!

Trotz thematischer Sortierung in Politik, Wirtschaft, Gesellschaft und Kultur wirkt das Ganze eher wie eine barocke Wunderkammer. Aber – und deswegen sollte man „West:Berlin“ auch nicht versäumen – so, wie in einer Wunderkammer die Objekte für sich sprechen, tun sie es auch hier. Ob man nun eingeborener West-Berliner, Ossi, Zuzügler oder sowieso ein Nachwendeprodukt ist: In den Fotos, Plakaten, Videos und Objekten steckt so viel zeitgeschichtlicher Wiedererkennungswert, dass man immer wieder hängen bleibt und „ach ja“ denkt und „stimmt“.

Schicksal und Pisse

Im Grunde gab es ja dieses eine Berlin West gar nicht. Jeder hatte sein eigenes, der Frontstadt-Berliner in Lichterfelde und der Gastarbeiter in Moabit, der schwäbische Hausbesetzer in Kreuzberg und die sprichwörtliche Wilmersdorfer Witwe mit ihrer Acht-Zimmer-Wohnung in Ku’damm-Nähe. Für den Autor dieses Textes, der Ende der 70er, Anfang der 80er Jahre als Heranwachsender die Inselstadt besuchte, war sie ein magischer Ort, der trotz Mauern drumherum unverkennbar nach weiter Welt roch und nach Waldmeistersirup, wie ihn die Menschen hier in üppige Bierschalen gossen. Aber warum nicht noch einmal das Grips-Theater bemühen?

Es riecht nach Großstadt

Nach Ruhm und Abenteuer

Nach Kino, Weltkrieg und Benzin

Schicksal und Pisse

Wahnsinn, das isse:

Die Luft von Berlin!

Solche Reminiszenzen stellen sich in der Ausstellung verlässlich ein, die man insofern gut und gerne als Westalgie-Show begreifen kann. Aber es war ja auch nicht alles schlecht im Westen: Richtig spannend war es! Spätestens ab Mitte der Sechzigern, mit Brandt und Bahr und Dutschke und dem Schah, der Lorenz-Entführung und dem Tunix-Kongress und nackten Anarchos auf dem Tauentzien und natürlich der taz, auf die ein frühes Titelblatt verweist: darauf eine alte Schreibmaschine, in die ein rot-schwarzes Kabel führt und aus der explosionsartig und revoluzzerhaft die Buchstaben fliegen.

Reklame für Pekingente

Auch sonst ging es rund zwischen Frohnau und Lankwitz, es gab großen Jazz auf den Jazztagen, klebrigen Schampus bei Rolf Eden, und im SO36 ließ die kalifornische Hardcore-Punkband Black Flag 1983 die Iros erzittern. Alles ist da, natürlich auch Harald Juhnke, und zwar – Kenner, aufgehorcht! – in Form der legendären Leuchtreklame für ein Chinarestaurant, das lange Zeit die Arkaden des Bikinihauses zierte und auf dem der Entertainer so tut, als würde er gleich eine unzerteilte Pekingente mit Stäbchen essen.

Natürlich war nicht alles gute Laune. Zu besichtigen sind auch Kreuzbergs verkommene Mietskasernen, bevor das Wort von der behutsamen Stadterneuerung in die Welt kam, die ungeliebten Trabantenstädte und die glücklicherweise nicht vollends Beton gewordenen Träume einer autogerechten Stadt. Dass es sich aber doch ganz kommod leben ließ zwischen den Checkpoints, darauf verweist eine Installation im zweiten Stock. Eine Eins mit 12 Nullen zieht sich groß durch den Raum, wenn man auf den Anfang schaut, sieht man das Ende nur noch aus den Augenwinkeln. So viel, nämlich rund eine Billion D-Mark, soll es der Bundesrepublik wert gewesen sein, für ein angenehmes Klima in Westberlin zu sorgen, durch Prämien, Zulagen und Steuerermäßigungen, übrigens auch auf Branntwein.

Coole Schmuddelkinder

Immer wieder hat man Aha-Erlebnisse. Diese Bewag-Werbung aus den 50ern: Lauter Elektrogeräte, vom Toaster bis zur Heizdecke, und dazu die Aufforderung „Strom kommt sowieso ins Haus … nutz das aus!“ Zeiten ändern sich. Genau wie bei den coolen Schmuddelkindern, die da Anfang der Siebziger vor dem Rauch-Haus posieren. Die rauchen ja alle! Andererseits dieser analog getippte Flyer von 1981: „Der Lummer-Ausländererlass schürt Ausländer-Hass“. Beim Durchlesen schaltet man unwillkürlich in den Modus „Änderungen vergleichen“, und siehe da, so viel hat sich gar nicht getan.

Hat man es schließlich bis in den dritten Stock geschafft, ist man irgendwie auch melancholisch geworden. Dieses West-Berlin ist nämlich genauso eine verlorene Welt wie DDR, und wenn man sich das bewusst macht, ist das nicht wirklich schlimm, aber ein kleines bisschen traurig vielleicht doch.

Mit dieser Stimmung lässt man sich in einen der Ledersessel in der „Hör-Lounge“ fallen, die den Abschluss der Ausstellung bilden: Die Stiftung Stadtmuseum hat ein paar Möbel aus dem 2013 geschlossenen Hotel Bogotá gerettet. Fototapeten simulieren einen Originalraum der Traditionsherberge in der Schlüterstraße, und aus Kopfhörern strömt die Musik des Berliner Westens, von der Tödlichen Doris bis Hildegard Knef.

Berlin, deine Stirn hat Dackelfalten

Doch was wärst du ohne sie?

Wer hat dich bloß so jung gehalten?

Denn zum Schlafen …

kommst du nie

■ „West:Berlin“, noch bis 28. 6. 2015 im Ephraimpalais (U-Bhf. Klosterstraße). Di., Do.–So. 10–18 Uhr, Mi. 12–20 Uhr. 7/5 €. An jedem ersten Mittwoch im Monat ist der Eintritt frei