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Archiv-Artikel

Das Gesetz der Unsicherheit

PARAGRAFEN In den letzten Jahren boomte das Genossenschaftsmodell, vor allem im Energiesektor. Nun bricht nach politischem Störfeuer die Zahl der Neugründungen ein

Energiegenossenschaften

■ Energiegenossenschaften werden im Schnitt von 43 Mitgliedern gegründet, rund 92 Prozent davon sind Privatpersonen. Bei fast drei Viertel der Genossenschaften kann man schon mit weniger als 500 Euro einsteigen. Die Energiegenossenschaften verfügen im Durchschnitt über ein Startkapital von rund 686.000 Euro; sie schütteten zuletzt eine durchschnittliche Dividende von 4,26 Prozent aus.

■ Die 718 von 2006 bis 2013 unter dem Dach des DGRV gegründeten Energiegenossenschaften vereinen rund 145.000 Mitglieder, darunter rund 130.000 Privatpersonen. Diese sind mit rund 470 Millionen Euro Eigenkapital engagiert. Die Genossenschaften haben insgesamt rund 1,35 Milliarden Euro in erneuerbare Energien investiert, sie produzieren 830 Millionen Kilowattstunden Strom jährlich und können somit rund 230.000 Durchschnittshaushalte versorgen. (bw)

VON BERNWARD JANZING

Die Zeiten werden härter für Energiegenossenschaften, denn die Politik wirft ihnen immer mehr Steine in den Weg. Etwa durch die Novelle des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG): Die Einspeisevergütungen für Ökostrom wurden immer weiter gekürzt, und wer sich nun von den Vergütungen unabhängig machen will, indem er den erzeugten Strom nicht einspeist, sondern selbst verbraucht, muss dafür plötzlich auch EEG-Umlage bezahlen – von Kritikern „Sonnensteuer“ genannt.

Hinzu kommt, dass nach dem novellierten EEG Neubauprojekte in den nächsten Jahren ausgeschrieben werden müssen, wobei noch völlig unklar ist, ob dann regionale Bürgergenossenschaften überhaupt Chancen haben gegen finanzstarke Mitbewerber. Und als wäre das alles nicht genug des Störfeuers, verunsichern auch noch Vorstöße des Gesetzgebers, wie das Kapitalanlagegesetzbuch (KAGB) und das Kleinanlegerschutzgesetz, die Initiativen vor Ort.

Dabei sah es in den letzten Jahren so gut aus, die traditionsreiche Unternehmensform der Genossenschaft erlebte einen neuen Boom. Denn die Genossenschaft genießt in der Gesellschaft sehr viel Sympathie, weil sie mehr ist als nur eine Unternehmensform – sie ist auch das Bekenntnis zu gesellschaftlichen Werten. Da ist zum einen das Demokratieprinzip: Unabhängig von der Einlage hat in der Mitgliederversammlung jeder Genosse eine Stimme. Und auch Solidarität gehört zum Konzept: Zumindest in der Aufbauphase und in Krisenzeiten sind unbezahlte Vorleistungen oder ehrenamtliche Arbeit üblich. In den vergangenen Jahren hatten Neugründungen von Genossenschaften meistens mit Energie zu tun – ein deutliches Indiz für den Wunsch der Gesellschaft, eine neue Art der Energieversorgung zu etablieren. Im Boomjahr 2011 waren in Deutschland zwei Drittel aller Genossenschafts-Neugründungen Energiegenossenschaften. Doch dann ging es bergab, erst langsam, dann rasant. Nachdem im Jahr 2011 bundesweit noch 167 Energiegenossenschaften gegründet wurden, waren es 2012 nur noch 150 und 2013 nur noch 129. 2014 kommt nun der große Einbruch: In den ersten neun Monaten des Jahres seien nur noch 41 neue Energiegenossenschaften eingetragen worden, berichtet der Deutsche Genossenschafts- und Raiffeisenverband (DGRV) – ein Rückgang gegenüber dem Vorjahreszeitraum um 61 Prozent.

Investitionen in Höhe von rund 300 Millionen Euro wurden im Jahr 2014 zurückgestellt

Einer Erfolgsgeschichte droht damit das Ende. In Deutschland wurden seit 2006 unter dem Dach des DGRV 759 Genossenschaften im Sektor der erneuerbaren Energien gegründet. Inzwischen bieten sich Chancen im Wesentlichen noch im Wärmesektor, darin sind sich alle Beobachter einig: „Nahwärmenetze haben noch großes Potenzial, es gibt noch zahlreiche Biogasanlagen, deren Wärme nicht optimal genutzt wird“, sagt Andreas Wieg vom DGRV. Entsprechend planten derzeit 18 Prozent der Genossenschaften Projekte in diesem Bereich – im Vorjahr seien es erst 11 Prozent gewesen. Doch der Einbruch im Stromsektor lässt sich damit nicht ansatzweise auffangen. Nach Schätzungen der Bundesgeschäftsstelle Energiegenossenschaften werden im Jahr 2014 Investitionen in Höhe von rund 300 Millionen Euro zurückgestellt als Folge der Verunsicherung durch EEG und KAGB. 30 Prozent der bestehenden Genossenschaften planen inzwischen keine weiteren Projekte mehr, hat der DGRV in einer Umfrage ermittelt. Der Grund ist für den Verband eindeutig: die „schädlichen Folgen der unsicheren Rahmenbedingungen“.

Denn nicht nur die gesunkenen Vergütungen für Solarstrom machen den Genossenschaften zu schaffen. Bitter ist auch der Wegfall des sogenannten Grünstromprivilegs, das bisher durch eine reduzierte EEG-Umlage die Lieferung von selbst erzeugtem Ökostrom an Verbraucher begünstigte, etwa die Versorgung von Mietern mit Solarstrom vom Dach. Burghard Flieger von der innova eG, ein engagierter Verfechter der Genossenschaftsidee in Deutschland, sieht hinter dem Gesamtpaket eine klare Strategie der Politik: „Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel macht mit der EEG-Novelle die PV-Genossenschaften kaputt, und das war auch sein Ziel.“ Hinzu kommt, dass auch die bald bevorstehenden Ausschreibungen für neue Projekte die Akteure verunsichern. Dadurch könnten die Genossenschaften in Zukunft bei größeren Projekten sogar gänzlich ausgebootet werden, fürchtet auch Andreas Wieg vom DGRV: „Wenn das Bundeswirtschaftsministerium keine besonderen Spielregeln für Genossenschaften definiert, werden diese kaum noch zum Zuge kommen.“ Wieg hofft noch auf ein Einsehen des Ministeriums, auch aus politischer Räson heraus: „Wir wollen doch die Akzeptanz für die Energiewende vor Ort, dann brauchen wir auch ein erleichtertes Verfahren für Bürgerprojekte.“