piwik no script img

Archiv-Artikel

Ich hatte eine Schule in Afrika

HELDEN-STECKBRIEF

NAME: Irmgard Wutte ALTER: 45 TAT: Gründete eine Schülerfirma für „Globales Lernen“ KONTAKT: www.irmgard-wutte.de WÜRDE PREISGELD VERWENDEN FÜR: Schüler-Sozialpraktika

Der taz-Panter für besonderes soziales und politisches Engagement wird in diesem Jahr zum dritten Mal verliehen. Es gibt eine LeserInnen-Wahl und eine Jury-Entscheidung. Am 11. August beginnt die LeserInnenwahl. Die beiden Preise werden am 15. September in Berlin verliehen. www.taz.de/panter

Panter-Kandidatin (4): Die 45-jährige Irmgard Wutte gründete eine Schülerfirma zwecks „Globalem Lernen“

Irmgard Wutte ist Lehrerin und wohnt in einem Reihenhaus in München-Daglfing. Nicht spektakulär? Doch, schon: Irmgard Wutte ist erst vor sechs Jahren aus Afrika zurückgekommen, denn im Jahre 1990 war sie zusammen mit ihrem damaligen Mann ausgezogen, um in Kenia eine Waldorfschule zu gründen. Bei ihrer Rückkehr nach München brachte sie nicht nur zwei Adoptivkinder mit, sondern auch Erfahrungen, die ihr Leben verändert haben. Und die sie gerne weitergeben möchte.

Sie hat ein Buch über diese Zeit geschrieben, es heißt „Ein leiser Ruf aus Afrika“ . Und an ihrer neuen Arbeitsstätte, einer Münchner Waldorfschule, gründete sie ein Oberstufenprojekt für „Globales Lernen“. Schüler akquirieren ehrenamtlich handwerkliche Erzeugnisse aus Kenia, die auf Weihnachtsmärkten an Waldorfschulen verkauft werden. Der Erlös fließt zurück nach Kenia. Mit dem Geld werden Schulpatenschaften für (Aids-)Waisenkinder und kenianische Kinder aus armen Familien ermöglicht – die fortan eine der beiden Waldorfschulen in Nairobi besuchen können.

„Die Schüler können auf diese Weise richtig was lernen: über Handel, Wirtschaft und die Globalisierung. Und vor allem können sie Wirklichkeit gestalten, statt nur darüber zu reden“, erzählt Irmgard Wutte. Und damit es auch mit der Motivation klappt – die letzten ProjektteilnehmerInnen hatten vor zwei Jahren hunderte von Arbeitsstunden investiert –, winkt am Ende des Projekts ein vierwöchiges Sozialpraktikum in Kenia – für das die Schüler selbstständig Sponsoren finden müssen. „So lernen sie auch, mit Öffentlichkeit umzugehen. Am Anfang des Projekts waren die meisten noch eher kindlich, das ändert sich dann.“

Nach ihrer Rückkehr aus Nairobi hatten sich die ProjektteilnehmerInnen auf Irmgard Wuttes Terrasse versammelt, um zu berichten: „Die waren richtig entzündet, die waren erfüllt und hatten wirkliche Begegnungen. Und berichteten, dass sie sich geschämt hätten, weil die Kenianer trotz all ihrer Probleme so glücklich waren.“

Out of Daglfing, wo man seinen BMW wäscht und penibel die Ligusterhecken frisiert. „Des san mir“ – schon früh wollte Irmgard Wutte raus aus dieser Welt. Die Mutter streng katholisch, sie selbst erzogen in einer Nonnenschule. Ihr Bruder hatte seine Doktorarbeit über Rudolf Steiner geschrieben und ihr davon erzählt, als sie noch ein junges Mädchen war – während eines Spaziergangs an der Isar. Die anthroposophische Lehre hatte es ihr fortan angetan, doch zunächst hatte sie von Amerika geträumt, wollte nach New York. Bis das Angebot kam, nach Afrika zu gehen.

„Wir haben da ja tatsächlich den ersten Spatenstich im Grasland getätigt, das Ganze war schon abenteuerlich.“ Kein fließend Wasser, kein Strom, Überfälle in der Nacht. Und vor allem die Frage: „Was mache ich hier eigentlich?“. Eine Waldorfschule in Afrika, Eurythmie-Tänze in der Savanne. Das hatte der Welt gerade noch gefehlt. „Wir fühlten uns am Anfang wie Fallschirmspringer auf dem Mond. Das Schlüsselerlebnis war dann ein kleiner Junge, der endlich aus sich herauskonnte, Kind sein durfte, anstatt sich innerhalb des dortigen englischen Schulsystems verbiegen zu müssen.“ Mittlerweile lieben die Kids in Kenia Eurythmie – 180 SchülerInnen an zwei Schulen, zum Teil wohlhabende Stadtkinder, zum Teil arme Landarbeiterkinder.

Irmgard Wutte ist nun wieder in Bayern, und doch ist alles anders geworden. „Die Leute hier denken immer: Hauptsache, uns geht es gut. Das regt mich auf.“ Umso wichtiger ist es ihr, die SchülerInnen auf eine andere Spur zu schicken: „Die sind ja begierig darauf, hier mal rauszukommen, das Andere kennen zu lernen.“ Das Projekt „Globales Lernen“ geht nun in die zweite Runde, auch wenn sich im Moment weniger Schüler gemeldet haben als beim letzten Mal. Und die müssen sich dann auch schon mal Sprüche anhören wie „Ah ja, da kommen die Jungunternehmer!“ Der Motivation tut dies keinen Abbruch, das Projekt „Globales Lernen“ läuft und soll sogar noch ausgebaut werden. Um die Erträge zu steigern, denkt man in München gerade über Online-Verkauf nach. Warum nicht auch in das Geschäft mit fair gehandeltem Kaffee aus Kenia einsteigen? Die Schülerfirma ist als Modellprojekt gedacht, das als Beispiel dienen soll. „Das sind doch genau die Themen, die für die jungen Menschen heute wichtig sind. Die globalen Zusammenhänge durchschauen: Was verdient der Bauer oder Produzent vor Ort, und wo bleiben die Margen? Sie sollen zumindest bewusste Konsumenten werden“, findet Irmgard Wutte, die den Slogan „Global denken, lokal handeln“ längst verinnerlicht hat.

Die umtriebige Lehrerin hat eine Mission, die über den normalen Schulalltag hinausgeht. „Eine Mission? Meine Kinder haben auch eine Mission: Die haben eine braune Haut und reden bayerisch. Dieser Verfremdungseffekt ist hier vor Ort eine wahre Freude“, lacht Irmgard Wutte.

Den Kindern gefällt es eigentlich ganz gut in Deutschland. Für sie war es damals ein irres Erlebnis, zum ersten Mal auf einem bayerischen Bergbauernhof zu sein. Ob die Familie vielleicht dennoch irgendwann mal nach Kenia zurückkehren möchte? „Ja!“, kräht Irmgard Wuttes Tochter, die gerade ihre Schulaufgaben korrigieren muss. Und das hört sich sehr bestimmt an.