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Archiv-Artikel

Wo, bitte, geht’s hier nach Berlin?

Der Bahnhof am Flughafen Schönefeld ist für immer mehr Touristen das Tor nach Berlin. Ausgerechnet hier aber ist Kundenfreundlichkeit noch ein Fremdwort: Mehrsprachige Hinweise sind ebenso Mangelware wie persönliche Beratung

Mit Mühe hat sich der Mexikaner durch den Touchscreen-Dialog des Fahrkartenautomaten getastet. Jetzt soll er sein Fahrziel eingeben. Buchstabe für Buchstabe tippt er von seinem Hotelgutschein ab: „Friedrichstraße“. Der Automat findet das Wort nicht. Vielleicht hat sich der Tourist aus dem fernen Lateinamerika, der gerade auf dem Flughafen Schönefeld angekommen ist und kein Wort Deutsch spricht, bei der Eingabe vertan. Hinter ihm warten ungeduldig acht weitere Reisende mit schwerem Gepäck.

In der Unterführung des Bahnhofs Schönefeld gibt es einen einzigen Fahrkartenautomaten. Der verkauft sowohl S-Bahn-Karten als auch Tickets für die Deutsche Bahn. Für Touristen, die per Billigflieger nach Berlin kommen, ist Schönefeld das Tor zur Stadt. Am Bahnhof ist diese Nachricht noch nicht angekommen. Wer sich seinen Weg durch mit Planen verhängte Baugerüste gebahnt hat, findet ein einziges Hinweisschild: „Zu den Zügen DB/S“ steht darauf. Auf Deutsch. Sonst nichts.

Am Fahrkartenautomaten sind jetzt zwei Chinesen an der Reihe. Sie wollen ein Ticket nach Leipzig. Aber eigentlich soll die Reise nicht in Schönefeld beginnen, sondern im Hauptbahnhof. Trotz hervorragender Deutschkenntnisse sind die beiden Germanistikstudenten von dem Automaten überfordert. Personal, das helfen könnte, ist weit und breit nicht zu sehen. Eine mitleidige Berlinerin zeigt ihnen den Weg zum Reisezentrum der Deutschen Bahn.

Das befindet sich eine Etage über der Bahnhofshalle, ein schmaler und rutschiger Weg führt hinauf, erneut vorbei an Baugerüsten. Ein sehr kleines Schild zeigt den Weg. „Reisezentrum Tickets Billets“ steht darauf. Und weil fast jeder dieses Schild übersieht, kann die Verkäuferin Däumchen drehen, während es vor dem Ticketautomaten ungemütlich wird.

Die S-Bahn unterhält in Schönefeld weder einen Verkaufsschalter noch einen „Servicepunkt“. Beides wurde vor wenigen Jahren eingespart, weil das Fahrgastaufkommen so gering sei, so Unternehmenssprecher Gisbert Gahler.

„Wo geht es denn hier nach Berlin?“, will ein alter Herr mit Koffern aus dem Elsass wissen. Weder ein S-Bahn-Fahrplan hängt hier noch eine elektronische Anzeigetafel wie an anderen Fernbahnhöfen. Auch auf den Bahnsteigen steht nichts von Berlin, stattdessen werden Fahrziele wie „Spandau“ oder „Zossen“ angezeigt. Und „Papestraße“ – dabei heißt der Umsteigebahnhof seit über einem Jahr „Südkreuz“. Ein einziger ansprechender Wegweiser ist in der Bahnhofsunterführung unübersehbar. Er weist den Weg zum Rathaus. Nicht zum Roten Rathaus, sondern zum Sitz des Bürgermeisters der Gemeinde Schönefeld. Der 2005 entstandene Neubau ist alles andere als eine touristische Attraktion.

Ein paar Stunden später wird es noch komplizierter. Nachts fahren ab Schönefeld statt S-Bahnen nur Ersatz- und Linienbusse nach Berlin. Drei Ortsteile stehen auf ihren Fahrzielanzeigern: Schöneweide, Rudow, Grünau. Nur nicht „Berlin“. Und die französische Reisegruppe, die jetzt genau dorthin will, ist hoffnungslos überfordert. Französische Sprachkenntnisse gehören nicht zur Kernkompetenz von Busfahrern. „Nachts gibt es überhaupt kein Personal auf dem Bahnhof Schönefeld“, weiß ein Insider. „Wer da mit dem Flieger kommt, muss sehen, wie er klarkommt.“ Aus lauter Verzweiflung heuern die Franzosen mehrere Taxis an.

Jens Klocksin, SPD-Verkehrsexperte in der Brandenburger Landtagsfraktion, wünscht sich für Schönefeld „mehr Personal und eine bessere Beschilderung. Aber dann müssen Berlin und Brandenburg der S-Bahn auch mehr Geld zur Verfügung stellen.“ Die Berliner Grünen-Abgeordnete Claudia Hämmerling formuliert es drastischer: „Hier werden Touristen vor die unlösbare Aufgabe gestellt, den Stadtplan und das Tarifsystem von Berlin im Kopf zu haben. Die S-Bahn hat die rasante Entwicklung Berlins als Touristenmagnet verpennt.“ MARINA MAI