: Vergnügliches Schlagen
Sport mit Heilwirkung: 1998 gründete der halbseitig gelähmte Fritz-Martin Müller in Lilienthal bei Bremen den ersten integrativen Golfclub. Im Juli startet das dritte internationale Integrationsturnier
VON THOMAS JOERDENS
Fritz-Martin Müller ist ein ruhiger Mann, der gerne zuhört, die Gespräche laufen lässt und nur manchmal einhakt, um sein Gegenüber auf einen neuen Gedanken zu bringen. Der Psychiater im Ruhestand und gemütliche Tübinger, der auch nach 30 Jahren Norddeutschland noch schwäbelt, kann aber auch anders. Wenn sich eine Idee in seinem Kopf einnistet, die seiner Meinung nach in die Welt hinaus muss, entwickelt er den Eifer eines Missionars.
So wie 1994. „Das sollen andere auch erfahren“, dachte Fritz-Martin Müller damals. Vier Jahre später gründete er in Lilienthal bei Bremen den ersten integrativen Golfclub in Deutschland, auf dem die ersten neun Bahnen 2004 eröffnet wurden. Vom 27. bis 29. Juli veranstaltet der Golfclub Lilienthal jetzt zum dritten Mal die „BGC Open“. An dem Turnier des Behinderten Golfclubs Deutschland (BGC) beteiligen sich knapp 50 behinderte und nicht behinderte Golfer aus Großbritannien, Finnland und Deutschland.
Golf war für Fritz-Martin Müller nie ein Thema. „Ein elitärer Sport, genauso wie Tennis“, sagt der 64-Jährige, der in seiner Jugend lieber Hockey spielte und beim Fußball im Tor gestanden hat. Im Winter fuhrt er mit Karacho die Skipisten hinunter. Bis 1987. Ein unfreiwilliger Salto hätte fast sein Leben beendet. Fritz-Martin Müller verließ das Krankenhaus im Rollstuhl: halbseitig gelähmt und mit einem Schädel-Hirn-Trauma. Zum Glück konnte er nach einem halben Jahr seine psychotherapeutische Praxis weiterführen. An Sport war nicht mehr zu denken. Da kam der Golf ins Spiel.
Um 1990 humpelte er erstmals über eine solche Anlage. Ein Bekannter, der einen einarmigen Golfer kannte, hatte Müller den Tipp gegeben. Zu Müllers Glück: Das unebene Gelände war für den linksseitig Gelähmten eine perfekte Landschaft, um Gehen zu lernen, sich aufrecht zu halten und die Rückenmuskulatur zu stärken. Bei Stürzen fiel er einigermaßen weich auf den gepflegten Rasen. Irgendwann blieb der Stock daheim. „Nach drei Jahren stand ich wieder auf meinem linken Bein. Das hat nicht mal meine Krankengymnastin geschafft“, sagt Fritz-Martin Müller. Seinen gefühllosen linken Arm kann er allerdings nach wie nur heben. Er steckt ihn während des Spiels in die Hosentasche. Den Ball schlägt, puttet, chippt oder pitcht Fritz-Martin Müller mit der Rechten.
Der Mediziner ist geduldig. Er weiß, dass sich Fortschritte nur sehr langsam und mit viel Übung einstellen. Umso schneller erfasste er den therapeutischen Effekt beim Golf. „Es gibt keinen besseren Rehabilitationssport. Das gilt für Blinde, Amputierte, MS-Kranke, Contergangeschädigte, Diabetiker und alle anderen Behinderten“, sagt der Golfer. Golf sei außerdem ideal, weil sich sofort Erfolg einstelle. Denn der Spieler müsse auf keinen Gegenspieler reagieren. Er konzentriere sich allein auf den ruhenden Ball, schlage, treffe. Schnell erlangte er die Platzreife, wurde Mitglied in einem dänischen Golfclub und tingelte über die vielen Anlagen, die Bremen umgeben. Irgendwann keimte die Idee, einen integrativen Verein zu gründen. Wegen der Heilwirkung – und weil Behinderte und Nichtbehinderte ihre Leidenschaft teilen können. Auf anderen Plätzen fühlte sich Fritz-Martin Müller jedoch manchmal als Exot und scheel beäugt.
Das ist auf der 20 Hektar großen Anlage in Lilienthal mit drei Biotopen und einem See inmitten einer Hochmoorlandschaft kein Thema. Auf den zwölf Bahnen und der Driving-Range, dem Trainingsgelände, spielen über 300 Vereinsmitglieder, darunter fast 30 Behinderte. Einer von ihnen ist der querschnittsgelähmte Immo Hammerström. Der 62-jährige Bremer fährt auf seinem Dreirad oder mit dem Auto an drei bis vier Tagen dorthin. Der Sport half ihm wieder auf die Beine und darüber hinweg, dass er nicht mehr als Elektroingenieur arbeiten konnte. 1998 diagnostizierten die Ärzte in seinem Rückenmark ein Hämatom. Die Krankheit fesselte ihn drei Jahre an den Rollstuhl, bevor es in der Reha langsam bergauf ging.
Richtig aufgelebt ist Immo Hammerström aber erst auf dem Golfplatz, obwohl er anfangs ständig umkippte, den Ball nicht traf und für die 200 Meter langen Kurzbahnen eine halbe Stunde benötigte. Heute benutzt Immo Hammerström im Gelände einen Schläger als Stütze, er schafft das Dutzend Bahnen in drei Stunden, legt in dieser Zeit etwa 2.000 Meter zurück und verbesserte sein Handicap. Nebenbei betreut er die Neugolfer im Club, gibt ihnen Spieltipps und organisiert Fahrten auf fremde Plätze.
Neben sportlichen Aktivitäten wie den Vereinsmeisterschaften und dem internationalen Integrationsturnier reizt Fritz-Martin Müller vor allem die Geselligkeit des Clublebens. „Wir wollen das Vergnügen am Schlagen vermitteln und die Hemmschwelle senken“, sagt er. Dafür lockt er mit niedrigen Beiträgen auf die behindertengerechte Anlage samt barrierefreiem Clubhaus.
Müller dachte aber nicht bloß an die Freizeitsportler, als er den Verein auf den Weg brachte, der zur Hälfte vom Land Niedersachsen und der Europäischen Union gefördert wurde. Es entstanden 16 Arbeitsplätze für Behinderte, die unter Anleitung eines Therapeuten die Fairways, Bunker, Greens und Roughs der Anlage pflegen. Dort golfen im Rahmen des Projekts „KidSwing“ der Deutschen Kinderhilfe wöchentlich etwa 30 körperlich und geistig behinderte Jugendliche. Den Schulsport begleiten Wissenschaftler des Fachbereichs Sportpädagogik der Universität Bremen. Demnächst verlegt der Deutsche Blinden-Golfclub seine Geschäftsstelle von Siegburg nach Lilienthal.
Insgesamt nennt Müller die Resonanz auf seine Idee jedoch gering. Doch deshalb ist ihm in den letzten 13 Jahren nicht der Elan abhanden gekommen. Derzeit zum Beispiel erwägt er ein neues Kinderprojekt mit dem Arbeitstitel „Golf für Dicke“. Und jüngst erreichte ihn eine Anfrage aus dem Bayerischen Wald, wo man ebenfalls eine Vereinsgründung überlegt. Fritz-Martin Müllers Mission geht weiter.