: SPD sucht die linke Spur
Landesparteitag I: Die Genossen fordern den „demokratischen Sozialismus“ und die soziale Stadt; sie sagen aber Ja zur Bundeswehr. Wowereit brüskiert Steinbrück
„Zu Gast bei Freunden?“ Mit diesem Fragezeichen auf dem T-Shirt liefen die Jusos beim Landesparteitag am Samstag auf. Auf der Rückseite stand ein Zitat des Bild-Kolumnisten Franz Josef Wagner: „Die Würde der Schwulen geht mir langsam auf den Keks.“ Auch bei anderen Delegierten wie dem SDS-Urgestein Tilman Fichter war die Wahl der Ullsteinhalle in den Axel-Springer-Passagen nicht unumstritten. „Das kann man den Menschen nicht vermitteln.“ Der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit dagegen bekannte: „Als ich vor 35 Jahren in die SPD eingetreten bin, hätte ich mir nicht träumen lassen, dass ein SPD-Parteitag einmal bei Springer stattfindet.“ Dass sich die Genossen in die Höhle des Löwen getraut haben, hatte aber einen ganz entscheidenden Grund, wie Wowereit gleich zu Anfang verriet: „Schließlich befinden wir uns hier in der Rudi-Dutschke-Straße.“ WERA
Wo sonst ließe sich die linke Seele der SPD besser streicheln als auf einem Landesparteitag zum neuen Bundesprogramm? Mit diesem Vorsatz muss sich Berlins Regierender Samstag früh auf den Weg in die Ullsteinhalle in den Kreuzberger Axel-Springer-Passagen gemacht haben. Dort widersprach er nicht nur dem SPD-Bundesvorsitzenden Kurt Beck in Sachen Umgang mit der neuen Linkspartei. Wowereit griff auch Gastredner Peer Steinbrück scharf an.
„Ich sehe ja nicht das Gesicht meines Hintermanns“, frotzelte der Regierende am Rednerpult in Richtung des hinter ihm sitzenden Bundesfinanzministers. Dessen Haltung zum Flughafen Tempelhof nannte Wowereit „schizophren“. „In den Gremien stimmt ihr für den Konsensbeschluss, öffentlich seid ihr dagegen“, spielte der Regierende auf die zahlreichen Versuche aus dem Finanzministerium an, den innerstädtischen Flughafen länger als beschlossen offen zu halten. Steinbrück widersprach, doch Wowereit ließ ihn nicht zu Wort kommen. Dem Bundesgast auf dem Landesparteitag blieb lediglich ein aufgesetztes Lächeln.
Schon im Vorfeld hatte die Antragskommission unter Vorsitz von Monika Buttgereit deutlich gemacht, wie die Berliner SPD das Profil der Bundespartei schärfen wolle: soziale Stadt, Integration, öffentliche Daseinsfürsorge. All das sollte der Berliner Landesverband in den Entwurf des Bundesprogramms einbringen, der im Herbst in Hamburg verabschiedet werden soll. Schließlich, so Klaus Wowereit zur Begründung, „sind es vor allem die großen Städte, in denen die Integration und der soziale Ausgleich“ stattfinden.
Doch völlig unwidersprochen blieb der Linkskurs nicht, auf den Wowereit und SPD-Landeschef Michael Müller die Genossen einstimmen wollten. Dem Antrag auf Abschaffung der Wehrpflicht erteilte die Mehrheit der Delegierten nach längerer Debatte eine Absage.
Gleichwohl lässt die Resolution, die der Parteitag zum Bundesprogramm verabschiedete, an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig. Die im Bremer Entwurf vorgesehene Ersetzung des Begriffs „demokratischer Sozialismus“ durch „soziale Demokratie“, heißt es in der Resolution, „trägt dem Umstand nicht Rechnung, dass die Programmatik der SPD stets weit über die heute bestehenden gesellschaftlichen Strukturen und ökonomischen Verhältnisse hinausweist“. Die Linkspartei, die am Wochenende ebenfalls den „Sytemwechsel“ forderte (siehe Text rechts), wird’s freuen.
Ganz vergrätzen wollte Wowereit die Genossen in der Bundes-SPD aber auch nicht. Einen Initiativantrag der SPD-Linken und der Jusos, in dem ursprünglich gar der Ausschluss einer Koalition mit CDU und FDP gefordert wurde, kippte die Parteitagsregie kurzerhand von der Tagesordnung. Zu dem Zeitpunkt war Peer Steinbrück aber schon wieder abgereist. UWE RADA
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