: Seiteneinsteiger auf leisen Sohlen
Lutz Seiler war von Anfang an der Favorit des diesjährigen Bachmannpreis-Wettlesens in Klagenfurt. Berufene Kreise wussten schon vor zehn Tagen zu erzählen, dass eh klar sei, wer gewinnt: Seiler. Gegenfrage damals: Warum? Antwort damals: Weil er immer gewinnt, wenn er irgendwo auftritt.
Das ist nur wenig übertrieben. So erhielt der 1963 im thüringischen Gera geborene Schriftsteller 1999 den Kranichsteiner Literaturpreis, 2000 den Lyrikpreis Meran, 2002 den Anna-Seghers-Preis, 2003 den Ernst-Meister-Preis, 2004 den Bremer Literaturpreis und nun also den mit 25.000 Euro dotierten Bachmann-Preis. Die literarische Gesellschaft mache an Lutz Seiler gut, was die alte Bundesrepublik an dem Land, aus dem er stammt, in der Phase des Untergangs schlecht gemacht habe, schrieb die Zeit über Seiler. Wahr ist daran, dass der deutsche Literaturbetrieb jemanden wie ihn liebt: einen Seiteneinsteiger, der sich die Möglichkeit, Lyrik zu schreiben, erst gegen Widerstände erarbeiten musste, es inzwischen aber mit fleißiger Kärrnerarbeit hinter den Kulissen zur ordentlichen Seilschaftbildung geschafft hat.
In der DDR musste Lutz Seiler erst eine Lehre als Baufacharbeiter hinter sich bringen und als Maurer und Zimmermann arbeiten. Seine literarische Karriere begann, als in der Wehrdienstzeit in der NVA anfing, Gedichte zu schreiben. Von da an war dieses Leben aufs rechte Gleis gesetzt. Seiler studierte Germanistik in Halle und Berlin. In den Neunzigern gab er die unter Lyrikbegeisterten bekannte Zeitschrift Moosbrand heraus. Seit 1997 ist er Literaturleiter im Peter-Huchel-Haus bei Berlin.
Seit seinem zweiten Gedichtband „pech & blende“ sind auch seine Bücher im Gespräch. „vierzig kilometer nacht“, die Gedichtsammlung aus dem Jahr 2004, wurde von allen großen deutschsprachigen Feuilletons ob ihrer „kühnen Bildfindungen“ gelobt, von „großer Lyrik“ war die Rede. Der Bachmannpreis wird dieser Karriere sicherlich einen weiteren Schub geben.
In Klagenfurt wirkte Seiler ruhig und zurückgezogen, an einer Umarmung durch den Literaturbetrieb nicht unbedingt interessiert. Die Lesung seiner dann preisgekrönten Erzählung brachte er mit dunklen Vokalen und gleichmäßigem Tonfall über die Bühne – was die stellenweise hypnotische Kraft dieses Textes über eine verlorene Eisenbahnfahrt durch im Westen so fremd klingende russische Ortsnamen wie Pawlodar, Karaganda oder Semey noch verstärkte. Direkt vor der Preisverkündung – in Klagenfurt Ergebnis einer öffentlichen Abstimmung unter den Juroren – wirkte er schließlich doch sympathisch nervös.
DIRK KNIPPHALS