: „Er wird als kranker Killer dargestellt“
TATEN Ein Kinofilm sei eine Vorverurteilung seines Mandanten, sagt Marcel Bosonnet, Anwalt von Topterrorist Carlos. Sie erwägen eine Klage gegen die Filmemacher
■ geboren 1949, arbeitet als Strafverteidiger in Zürich. Er vertritt Ilich Ramírez Sánchez, besser bekannt unter dem Namen Carlos, seit seiner Verhaftung im Jahr 1994.
INTERVIEW CIGDEM AKYOL
taz: Herr Bosonnet, im November findet ein neues Verfahren gegen Ihren Mandanten Ilich Ramírez Sánchez – besser bekannt als Carlos – in Paris statt. Was wird ihm vorgeworfen?
Marcel Bosonnet: Es werden ihm Attentate auf zwei Züge und ein Anschlag in der Rue Marbeuf, bei dem eine Frau starb und 63 Personen verletzt wurden, vorgeworfen – Vorfälle aus den Jahren 1982 und 1983.
Seit einigen Tagen ist in den Schweizer Kinos der Film „Carlos – Der Schakal“ zu sehen. Sie überlegen nun gemeinsam mit Ihrem Mandanten, gegen den Film zu klagen. Warum?
Ilich Ramírez Sánchez hat sich bereits 2008 an die Produktionsfirma gewendet und wollte an der Realisierung des Films beteiligt werden. Doch immer hieß es, es sei ein rein fiktionaler Film, seine Mitarbeit sei nicht nötig, eine Kontaktaufnahme wurde verweigert. Doch nun ist klar, der Film ist nicht fiktional. Im Gegenteil: Der Film macht geltend, Carlos’ richtiges Leben zu zeigen. Es ist keine fiktionale Figur, sondern eine reale.
Der Film zeigt Ihren Mandanten als coolen Killer. Er trinkt, schießt und vergnügt sich mit zahlreichen Frauen. Für einen Terroristen nicht die schlechteste Darstellungsform. Was passt Ihrem Mandanten daran dennoch nicht?
Er ist für eine Tat von 1997 lebenslänglich verurteilt worden. Alle anderen Verdächtigungen wurden nie durch ein Gericht beurteilt und konnten ihm nicht nachgewiesen werden. In dem Film wird er pauschal für Taten verantwortlich gemacht, die er nie begangen hat. Die politischen Zusammenhänge werden verschwiegen oder verfälscht. Auch ein einmal Verurteilter darf nicht wahllos für Verbrechen verantwortlich gemacht werden, über die nie ein Gericht geurteilt hat. Dass Ilich Ramírez Sánchez sich als Revolutionär begreift, der sich für die Sache der Palästinenser einsetzt, wird nicht thematisiert. Wie er sich politisiert hat und zum Revolutionär wurde, wird nicht gezeigt.
Der Film ist aber doch nicht für die PR Ihres Mandanten zuständig …
Natürlich nicht. Aber Ilich Ramírez Sánchez wird als psychopathischer, kranker Killer dargestellt – und das ganz bewusst.
Greifen hier nicht die Kunst- und Meinungsfreiheit?
Die Filmemacher nehmen für sich in Anspruch, die Biografie von Ilich Ramírez Sánchez verfilmt zu haben. Deswegen ist die Kunstfreiheit hier durchaus angreifbar, denn immerhin werden Fakten verändert und es findet eine Vorverurteilung statt. Der Film beginnt ja in London, wo ihm im Film ein Mordversuch unterstellt wird. Dabei fehlt es da an einer Anklage oder an einem Urteil.
Ihr Mandant hat aus der Haftanstalt einen Brief an den Schauspieler Edgar Ramírez geschrieben: „Warum, Edgar, akzeptierst du, dass die historische Wahrheit verzerrt wird?“, fragt er ihn darin. „Warum machst du mit bei einer konterrevolutionären Propaganda, die den berühmtesten Ramírez der Welt diffamiert?“ Er scheint sehr eitel zu sein.
Wer hat nicht das Recht darauf, in der Öffentlichkeit richtig dargestellt zu werden? Man sollte Ilich Ramírez Sánchez für seine Taten würdigen, als Revolutionär für die palästinensische Sache …
… oder als Terroristen, Mörder und Antisemiten.
Was heißt schon Terrorist? Der Begriff ist völlig unklar und dient dazu, den politischen Gegner zu denunzieren. Ilich Ramírez Sánchez hat sich für die Sache der Palästinenser eingesetzt.
Herr Bosonnet, wie geht es Ihrem Mandanten heute?
Ilich Ramírez Sánchez hat seine Energie und Leidenschaft für vernünftige Verhältnisse in der Welt nicht aufgegeben. Er schreibt Bücher und Artikel, mischt aktiv in der Weltpolitik mit. Er wird weiterhin am Weltgeschehen teilhaben und betrachtet sich als politischen Gefangenen.