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Archiv-Artikel

Der Terrorist und sein Image

REALITÄT & FIKTION Im November beginnt ein neuer Prozess gegen Topterrorist Carlos. Ein Filmporträt über sein Leben nennt er „Geschichtsfälschung“

Zurzeit verbüßt der 61-jährige Venezolaner Ilich Ramírez Sánchez in der französischen Haftanstalt Poissy im Westen von Paris eine lebenslange Gefängnisstrafe für die Ermordung von zwei französischen Polizisten und eines Mossad-Agenten. Das wird aller Voraussicht nach nicht die letzte Verurteilung für ihn sein. Auf das Konto seines „bewaffneten Kampfs“ sollen laut dem Magazin L’Express insgesamt rund achtzig Todesopfer gehen. Im November muss er sich erneut vor einem Sondergericht für terroristischen Verbrechen für eine Serie von Attentaten verantworten, bei denen elf Menschen den Tod fanden. Mitangeklagt sind in diesem Prozess auch Christa-Margot Fröhlich (alias „Heidi“) und Johannes Weinrich (er gilt als „rechte Hand“ von Carlos und war Gefährte von dessen ersten Gattin, Magdalena Kopp) sowie Kamal Al-Issawi.

Obwohl der dreiteilige Film „Carlos“ von Oliver Assayas erst vor wenigen Monaten in den französischen Kinos und im Fernsehen zu sehen gewesen war, für den der ebenfalls in Venezuela geborene Edgar Ramirez den Filmpreis „César“ als bester Nachwuchsdarsteller erhielt, erinnert sich das Frankreich von heute nur vage an Ilich Ramírez Sánchez. Bevor ihn schließlich französische Geheimdienstleute 1994 im sudanesischen Khartum schnappten und nach Paris brachten, galt er als der meistgesuchte Verbrecher, dem neben zahlreichen Mordanschlägen auch die Organisation und Leitung die Entführung von elf Ministern der Opec-Staaten aus Wien 1975 angelastet wird. Unter dem Namen „Carlos, der Schakal“ war er in den Siebziger- und Achtzigerjahren ein gefürchteter Terrorist, der auf allen Fahndungslisten stand.

Aus Sicherheitsgründen wurde „Carlos“, der sich selbst als „Berufsrevolutionär“ und Sympathisant des nationalen Befreiungskampfs der Palästinenser versteht, nach seinem Prozess mehrfach von einem Gefängnis ins andere verlegt und zeitweise auch in Isolationshaft gehalten. Auf seine Klage hin entschied der Europäische Menschenrechtsgerichtshof, diese Maßnahme sei in Anbetracht der Gefährlichkeit des Inhaftierten nicht unzulässig, jedoch müsse ihm das Beschwerderecht garantiert werden. Heute darf er angeblich wieder Besuche empfangen und telefonieren. In einer 2003 publizierten Autobiografie bekannte er sich zu einem „revolutionären Islam“ und zollt Osama bin Laden Anerkennung für die Attentate vom September 2001.

Carlos, der in dritter Ehe seine Exanwältin Isabelle Coutant-Peyre geheiratet hatte, kritisierte aus seiner Gefängniszelle das Porträt, das im Film von ihm gezeichnet wird, als „Geschichtsfälschung“. Ein Grund, warum er nun derart auf die Verteidigung seines Images pocht, dürfte die Vorbereitung seiner Gerichtsverhandlung im November sein. Rechtliche Handhabe hatte er wenig, um sich einer Verfilmung in Form eines „Biopics“ zu widersetzen. „Das ist fast so, als hätte Franco ein Mitspracherecht beim Malen von ‚Guernica‘ (durch Picasso) verlangt, weil er für das Massaker ja noch nicht verurteilt worden sei“, meint Richard Malka von der Produktionsgesellschaft „Film en stock“.

Die Versuche von Carlos, Assayas Filmprojekt zu stoppen oder nachträglich dagegen zu klagen, bezeichnete der französische Fernsehsender „Canal Plus“ als „Kalaschnikowschuss ins Wasser“. In Frankreich, wo derzeit laufend Dokufiction-Filme über lebende oder verstorbene Persönlichkeiten gedreht werden, ist die künstlerische Gestaltungsfreiheit sehr groß und anerkannt. RUDOLF BALMER, PARIS