: Die Rolle der Frau
In „Meine böse Freundin“ spielt Anna Maria Mühe gegen das Klischee vom Erwachsenwerden an und damit alle anderen an die Wand (20.15 Uhr, ARD)
VON JUDITH LUIG
Anna Maria Mühe ist ganz und gar unirdisch. Mit ihrer blassen, zarten Haut, dem Körper, der nicht so recht in den zeitgenössischen Girlie-Look passen will, und diesem überrascht-amüsierten Lächeln wirkt sie wie ein Fabelwesen, das sich aus einem unerklärlichen Zufall in die Realität verirrt hat.
In „Meine böse Freundin“ ist dieser Gegensatz von Welt und Gegenwelt besonders deutlich. Anna Maria Mühe spielt die 17-jährige Ellen, eine überbehütete Tochter, deren Kindheit die Eltern eifersüchtig bewachen, weil es sie vor der Konfrontation mit ihren eigenen Problemen schützt. Denn im Grunde haben Anne (Barbara Auer) und Robert (August Zirner) längst ihr Eheleben aufgegeben. Anne hat Affären – und Robert resigniert. Doch solange es dieses zarte Kind gibt, finden sie in der Rolle als fürsorgliche Eltern Zuflucht.
Ellens „böse Freundin“ ist die durchtriebene Isa (Alice Dwyer), die mit aller Macht die abgebrühte Strippenzieherin mimt – wobei nicht so ganz sicher ist, ob die Künstlichkeit der Rolle wirklich gewollt oder eher ein Unfall ist. Doch der Kontrast zwischen hart und herzlich will nicht glücken. Isa ist in all ihrer aufgesetzten Sexualität und ihrem Kämpfergeist viel zu gewöhnlich adoleszent, als dass sich ein Wesen wie Ellen wirklich von ihr angezogen fühlen würde. Macht nichts: Die tatsächliche Geschichte in „Meine böse Freundin“ ist nicht die Beziehung der Heranwachsenden, sondern die Familiengeschichte.
Ellens Eltern führen das klassische Drama des zeitgenössischen Neubürgertums auf: sie eine erfolgreiche Fernsehpsychologin, er ein renommierter Arzt. Sie haben ein bescheiden-prachtvolles Haus geerbt und eine entzückende Tochter nach ihrem Ideal erzogen, mit der man sogar ganz offen über ihre Periode sprechen kann. Doch genau diese Tochter spielt irgendwann nicht mehr mit.
„Meine böse Freundin“ ist einer von diesen Fernsehfilmen, die ein bisschen mehr sein wollen, aber dazu zu professionell gemacht sind. Dass er trotzdem interessant ist, verdankt er Anna Maria Mühe. Sie hat diesem ersten Erwachen in der Erwachsenenwelt bereits in anderen Variationen Ausdruck gegeben: die unbeirrte Nathalie in „Delphinsommer“ (2004), die Jungs mordende Hilde in „Was nützt die Liebe in Gedanken“ (2004), die naiv-liebe Nike in „Sieh zu, dass Du Land gewinnst“ (2006). Doch hat Heranwachsen in Anna Maria Mühes Spiel sehr wenig mit den klassischen Komponenten dieses Themas zu tun: die erste Liebe, der Krach mit der besten Freundin oder die Entdeckung, dass Eltern Menschen sind, all diese Mädchenzeitschriftenprobleme gibt es zwar, aber geraten bei ihr eher in den Hintergrund.
Mühes Frauenfiguren sind Beobachterinnen eines Alltags, der durch ihren durchdringenden Blick auf einmal sehr merkwürdig erscheint. Die Jugend, die sie darstellt, ist alles andere als das ganz normale Übergangsstadium vom Kind zum Erwachsenen. Es ist vielmehr ein Gegenmodell, und dabei ist doppeltes Spiel am Werk: Mühe spielt Frauen, die ihrerseits versuchen, Frauenrollen zu spielen, wie sie nicht nur sie selbst, sondern auch Freunde, Lehrer oder Eltern erwarten.
Vielleicht ist es deswegen auch so schwer, einen Begriff für diese Figuren zu finden, die Mühe darstellt. Teenager, junge Frau, Jugendliche – all das klingt viel zu klischeehaft, als dass man es ihr zuschreiben möchte. Doch wie auch immer man ihre Rollen nennen mag, es sollte mehr von ihnen geben.