die taz vor zehn jahren über die reaktion der linksalternativen auf den deutschen herbst 1977
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Was im deutschen Herbst 1977 geschah, war nicht nur der Auswuchs eines wildgewordenen sozialdemokratischen Etatismus – es war die Mobilmachung der Gesellschaft gegen den Feind. Als Feind galt 1977 schon, wer sich der offiziellen Sprachregelung verweigerte. Auch die Medien parierten und befolgten die Direktiven aus Bonn ausnahmslos. Die Republik wurde zu einer Gesellschaft ohne öffentliche Opposition. So gelang es der RAF, den autoritären, faschistoiden Bodensatz der Nachkriegsdemokratie aufzuwirbeln. Ihr einziger „Sieg“.

1977 war aber auch ein doppelter Bruchpunkt für die 68er Linke mit ihren beiden heimlichen Lieben: der SPD und der RAF. Im Herbst 1977 war klar, daß das Brandtsche „Mehr Demokratie wagen“ in autoritären Etatismus und kalten Schmidtschen Offizierston gemündet war. Und die RAF war spätestens mit der Entführung von Mallorca-Touristen auf das Niveau einer Bande herabgesunken.

Die beiden Lehren der bunten, linken Szene aus dem Deutschen Herbst lauteten: Keine Illusionen mehr über die SPD – und der Abschied von dem (Alp-)Traum einer gewalttätigen Revolution. So führten Mogadischu und Stammheim 1977 in einem dialektischen Umschlag zum linksalternativen Aufbruch in der Gesellschaft: zum Bruch mit dem linken Grundgefühl von Ohnmacht und Omnipotenz und dem Gefühl, im eigenen Land im Exil zu leben. 1979 gründeten sich unter linksradikaler Mitwirkung die Grünen. 1983 zog unter anderem der Ex-Militante Joschka Fischer in den Bundestag ein. So wurde der Herbst 1977 paradoxerweise zum Katalysator auf dem Weg der Linksalternativen in die bundesdeutsche Gesellschaft. Stefan Reinecke taz vom 3. 7. 1997