: Eine Liebe in Zeiten der Pogrome
In „Bombay“ erzählt Mani Ratnam eine hinduistisch-moslemischen Romanze
Hier ist mal eine wirklich knifflige Aufgabe: In einem populären indischen Film muss es unbedingt in jedem Akt mindestens eine musikalische Shownummer geben. Nun erzählt Mani Ratnam im gesamten letzten Drittel von „Bombay“ von den blutigen Unruhen zwischen Hindus und Moslems, die sein Land im Dezember 1992 erschütterten. Selbst für das stilistisch oft verwegene indische Kino wäre es wohl zu makaber gewesen, wenn zwischen den Steine werfenden religiösen Fanatikern, ihren sterbenden Opfern und den brennenden Trümmern in den Straßen getanzt und gesungen worden wäre. Was also tun? Der gewitzte Regisseur lässt wie gewohnt die Musik anschwellen. Es ist ein aggressives, martialisches Thema mit einem harten, ungewohnt rockigen Rhythmus - und dazu schneidet er ein Ballett von Bildern der hysterischen Massen. Eine Abfolge von brutalen Einstellungen montiert er genau im Takt der Musik - und löst so halbwegs elegant sein Dilemma.
Wenn man die Auswahl an indischen Filmen im Fernsehen oder die DVD-Regale in den Videotheken ansieht, bekommt man den Eindruck, im Kino des Subkontinents wird nur geliebt, geweint, gelacht und getanzt. Aber Bollywood ist kein Genre, sondern eine Industrie - und es gibt zudem neben Bombay auch noch andere Filmfabriken im Lande. Aus dem südindischen Madras kommen etwa in der tamilischen Sprache gedrehte Filme, die ebenso monumentale Gesangs- und Tanzeinlagen haben wie die Hindi-Filme. Der Regiestar dieser Region, Mani Ratnam, versucht in seinen Produktionen mehr als eine reine Traumwelt zu erschaffen. So erzählt er in seinen Filmen von der Liebe zwischen Todkranken, einem geistig behinderten kleinen Mädchen oder dem ethnischen Konflikt in Kaschmir. Sein erfolgreichster und auch international bekannter Film ist „Bombay`` aus dem Jahr 1995, und hier stehen die Spannungen zwischen Hindus und Moslems im Mittelpunkt, die in Indien immer wieder in gewalttätigen Auseinandersetzungen münden.
Dabei ist der Film bis zur obligatorischen Pause ein gewohnt kitschiges Melodram, in dem vom hinduistischen Journalisten Shekhar und der moslemischen Schönheit Shaila erzählt wird, die sich in ihrem südindischen Heimatdorf auf den ersten Blick ineinander verlieben und große Schwierigkeiten mit den jeweiligen orthodoxen Familien haben. Beide fliehen ins ferne Bombay, heiraten und bekommen Zwillinge. Die Enkel bringen auch die Patriarchen aus dem Dorf nach Bombay und alle versöhnen sich - bis mit dem 6. Dezember 1992 ein Datum auf der Leinwand erscheint, das für ein indisches Publikum eine ähnliche Signalwirkung haben dürfte wie bei uns 9/11.
Nachdem Hindu-Fundamentalisten eine 500 Jahre alte Moschee zerstörten, kam es zu blutigen Unruhen, die in Bombay besonders heftig tobten, und Mani Ratnam inszeniert dieses Inferno mit einer Intensität, bei der seine Wut über diesen Zustände spürbar wird. Der pathetischen Wucht des letzten Aktes kann man sich kaum entziehen, auch wenn man die dramaturgischen Tricks sehr schnell durchschaut. „Bombay“ bietet Gefühlskino für das große Publikum - und da muss alles doppelt und dreifach ausgedrückt werden. So hat Ratnam etwa gleich drei klassische Schlussbilder aneinander montiert: Zuerst die Kamerafahrt nach oben zur cineastischen Himmelfahrt - dann das vereinigte Paar, dessen Bewegung zu einem Standbild gefriert und schließlich auch noch die Detailaufnahme der vereinigten Hände. Zu viel kann es im indischen Film gar nicht geben.
Wilfried Hippen