: Die Antithese zur Pomade
TRASH Das Kino Central huldigt mit der neuen Filmreihe „Vogelbaum“ dem subversiven Film. Und zeigt in der dritten Folge John Waters’ „Hairspray“
VON THOMAS GROH
Wenn Tracy Turnblad (Ricki Lake) ihr Lachen in die Welt strahlt, geht die Sonne auf. Exakt an jener Kippstelle, an der sich die langen 50er zu den bewegten 60ern wandelten, lebt sie in Baltimore den Traum eines Teenagers, der sich über das vergötterte Fernsehbild vom süßen Virus des Rock ’n’ Roll infizieren lässt, selbst das Tanzbein zu schwingen beginnt, sich ohne das Wissen ihrer Eltern – großartig in der Rolle der Mutter: die Dragqueen Divine in ihrem leider letzten Filmauftritt – ins Fernsehstudio schleicht und mit einer Extraportion Hüftgold und diesem unwahrscheinlichen Lachen ins Herz vor allem auch des Kinopublikums tanzt. Sehr zum Entsetzen freilich der bisherigen, schrecklich arroganten und kaltherzigen Dancing Queen.
Als „Pope of Trash“ hat sich John Waters in den 70er Jahren mit zahlreichen lustvollen Entgleisungen wider den guten Geschmack einen Namen gemacht. Die so liebevolle wie umwerfend charmante 60s-Retro-Sause „Hairspray“ markierte 1988 seinen ersten, als solchen auch lancierten Mainstream-Erfolg: Ein kirres, grotesk frisiertes Treiben vor wunderbar haarsträubend geschmackloser Einrichtung, dem der Regisseur allerdings einiges an Subversion unterjubelte.
Auch deshalb zeigen die beiden Filmenthusiasten Jennifer Bormann und Carlos Ricon den Film in ihrer neuen Filmreihe „Vogelbaum“, im Übrigen von einer eigens eingeflogenen, exzellenten 35mm-Kopie. Der Titel huldigt dem Filmhistoriker Amos Vogel, geborener Vogelbaum, dessen Buch „Film als subversive Kunst“ bis heute Pflichtlektüre für alle darstellt, denen Kino abseits der Norm am Herzen liegt. Ohne Snobismus, aber voller Lust auf Entdeckungen präsentierte er im New Yorker Filmclub „Cinema 16“ alles, was der Kinoalltag links liegen lässt: Medizinfilme, queeres Kino, Trash, europäisches Autorenkino, Experimentalfilm und Avantgarde. Ein Vorbild deshalb auch für Bormann und Ricon, die einmal im Monat im Kino Central den Reichtum der entlegeneren Archive der Filmgeschichte durchmessen und sich dem kalkulierten Zynismus des heutigen Betriebs entgegenstellen wollen. Auch damit das Kino wieder ein Ort der Entdeckung werden kann.
Zu entdecken gibt es hier einiges: Trotz seines betont naiven, zuweilen kindlichen bis märchenhaften Charmes stellt „Hairspray“ keine nostalgische Verklärung vermeintlich bessere Zeiten dar. Im Gegenteil: Waters, eine Gallionsfigur des queeren Kinos, nimmt die grenz-hysterischen Verkniffenheiten des hetero-normativen Tanzes der Geschlechter gebührend aufs Korn und macht die Mechanismen rassistischer Segregation kenntlich, auf denen nicht nur der weiße Rock ’n’ Roll und sein Retro-Glam, sondern auch die weiße Mehrheitsgesellschaft der 50er Jahre fußt.
Dies geschieht erst en passant, wird aber zusehends bestimmendes Thema des Films: Zeigt „Hairspray“ zu Beginn noch eine selbstzufriedene, von allerlei Ticks und Schwachsinnigkeiten geprägte weiße Mittelschichtswelt an der Grenze zwischen Urbanität und Provinzialität, verlagert sich der Fokus schließlich auf die Situation der aus dieser Welt geradezu neurotisch ausgegrenzten Schwarzen in den heruntergewirtschafteten Vierteln. Sehr selbstverständlich wechselt Tracy Turnblad da die Seiten und sagt dem Rassismus mit Hüftschwung und gewinnend guter Laune den offenen Kampf an, während das weiße Mainstream-Amerika mit viel Spaß an der Sache der Lächerlichkeit preisgegeben wird. Damit ist „Hairspray“ so ziemlich exakt die Antithese zu den aus Pomade, schönen Autos und viel weißer Haut gewirkten, streng apolitischen Nostalgieträumen, wie etwa George Lucas’ Jugendballade „American Graffiti“. Und wie Waters dem Mainstream-Amerika der 80er diesen Brocken zu schlucken gab, ist eine ganz eigene Erfolgsgeschichte des subversiven Films.
Diese will „Vogelbaum“ nun stilecht feiern. Die Veranstalter bitten daher um passende Garderobe im 60s Style.
■ „Hairspray“ (1988) von John Waters: in der Reihe „Vogelbaum“, Kino Central, Rosenthaler Straße 39, 28. November, 21 Uhr, www.kino-central.de