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Archiv-Artikel

Der alte Mann und das Blech

CHROM, LACK, LICHT Ein Meister des Formenspiels: Die Pinakothek der Moderne in München zeigt neue Skulpturen des amerikanischen Künstlers John Chamberlain

Der Ausgangspunkt, ein verschrottetes Automobil, verschwindet hinter der neuen Logik des Materials

VON MAIK SCHLÜTER

Die Haltungen, um die in der bildenden Kunst gestritten wird, sind zahlreich: Politische Manifeste argumentieren gegen ästhetische Autonomie, Intuition konkurriert mit Konzept. Da die zeitgenössische Kunst frei ist, muss sie sich aus sich selbst heraus legitimieren. Der 1927 in Rochester, Indiana, USA, geborene Künstler John Chamberlain tut das ganz unprätentiös und stellt schlicht fest, dass seine großen, meist aus Karosserieblechen gefalteten Metallskulpturen dann fertig sind, wenn alles zusammenpasst. John Chamberlain, von dem die Pinakothek der Moderne neue Skulpturen zeigt, gehört mit zu den wichtigsten amerikanischen Künstlern des 20. Jahrhunderts. Er provoziert die auf Inhaltismus gepolten Ohren der Kunstkritik auf geradezu unschuldige Weise, wenn er sagt: „Ich kümmere mich nicht so sehr darum, ob ich es verstehe. Wenn eine Sache intuitiv gemacht ist, warum soll man sie dann intellektuell anschauen? Du wirst nicht verstehen, worum es geht.“

Chamberlain begann seine Künstlerkarriere 1955 am renommierten Black Mountain College in North Carolina. Das Institut förderte Künstler wie John Cage oder den Dichter Robert Creeley. Zu dieser Zeit entdeckt Chamberlain seine Vorliebe für eine strukturale Poesie und bald auch sein bevorzugtes Material, das für ihn zentraler Werkstoff werden wird: Karosserien und andere Metallteile vom Auto. Türen, Kotflügel oder Chromstoßstangen werden schon früh von ihm aufwendig bearbeitet, gebogen, geglättet, geknickt, teilweise lackiert und dann punktgenau zusammengeschweißt.

Das Material bekommt durch diesen Prozess ein hohes Maß an Autonomie, wird in seiner alltäglichen Herkunft transzendiert und bewegt sich zwischen geheimnisvollem Fetisch und tradierter Materialerkundung. Die Skulpturen besitzen eine verblüffende Dynamik und Leichtigkeit. Die Oberflächen wirken mal irisierend und mal stumpf, edel oder völlig zerschrammt und wandeln sich je nach Blickwinkel und Entfernung. Der eigentliche Ausgangspunkt, ein verschrottetes Automobil, verschwindet hinter der neuen Logik des Materials und seiner Umformung.

Kein symbolischer Unfug

Mitte der 1960er Jahre gibt Chamberlain sein bevorzugtes Material für kurze Zeit auf, da er sich missverstanden fühlt: „Ich hatte von Autoblechen genug, weil die einzige Reaktion darauf war, dass ich Autounfälle machte und dass ich Autos als irgendeinen symbolischen Unfug über die Gesellschaft benutzte. Die gesamte Idee begann mich zu langweilen.“ Eine Zeit lang erprobt er äußerst erfolgreich andere Materialien wie Fiberglas, Schaumstoff oder Plastiktüten, kehrt aber bald zu den industriell gefertigten Blechen zurück.

Die Abgrenzung vom Topos der zivilisatorischen Kritik hebt Chamberlain deutlich ab von anderen Künstlern, die ein ähnliches Material oder ähnliche Sujets wählen. J. G. Ballards düsteres literarisches Meisterwerk „Crash“ (1968) verweist auf das Verhältnis von Todestrieb, Lustgewinn, Entfremdung, Perversion, Pornografie und technischem Kollaps am Beispiel des Automobils. In der bildenden Kunst finden sich ebenfalls viele Arbeiten, die das Auto als Fetisch und Katastrophenvehikel interpretieren, von Gustav Metzger über Richard Prince zu Nancy Rubins bis hin zu Dirk Skreber oder jungen Künstlern wie Raffael Waldner. Allen gemeinsam ist das Thematisieren von Ästhetik, Fetisch und Destruktion. So gut diese Arbeiten auch sind, sie alle finden ihren Meister im mittlerweile 84-jährigen John Chamberlain und seiner smarten Selbstanalyse: „The assembly is a fit, and the fit is sexual. That’s the mode I am working.“

Unendliche Varianten

Gerade durch diese existenzielle Deutung befreit er sich vom Duktus einer aufklärenden Haltung. Struktur, Form, Oberfläche, Raumrelationen, Farben und Licht werden dafür umso wichtiger. Chamberlains Konzentration auf das immer gleiche Sujet führt ihn zur absoluten Meisterschaft als Bildhauer. Die Variationen sind scheinbar unendlich.

In der Pinakothek der Moderne kann man sich in der aktuellen Ausstellung „Curvatureromance“ eindrucksvoll davon überzeugen. Kuratorin Corinna Thierolf inszeniert präzise und sinnfällig 12 neue Arbeiten von Chamberlain im Kontext mit Kollegen wie Dan Flavin oder Donald Judd. Chamberlain griff für diese Skulpturen wieder auf Autos aus den 1950er Jahren zurück. Was zu seinen Anfängen problemlos auf jedem Schrottplatz zu finden war, ist heute ungleich schwerer und nur als teures Sammlerstück zu finden.

Chamberlain geht es dabei um die spezifische Form und Verarbeitung dieser Wagen, die viel Chrom, gerundete Bleche und spezielle Lackierungen aufweisen. Dass er auch im hohen Alter sein Handwerk makellos beherrscht, wird in den markanten Räumen der Pinakothek schnell erfahrbar. Die Skulpturen wirken so frisch und unverbraucht, dass man nicht einen Moment lang an langweilige Selbstzitate oder eine belanglose Retrospektive denken kann. Chamberlains Arbeiten stehen in einer langen Tradition der Materialerkundung, der formalen Logik und der Möglichkeiten von künstlerischer Transzendenz und Poesie. Das macht ihn bis heute zu einem herausragenden Vertreter der Skulptur und zu einem Klassiker der Jetztzeit.

■ Bis 23. Oktober, Pinakothek der Moderne, München