Scheibchenweise informiert

Sozialausschuss des Kieler Landtags befasst sich mit den Pannen in Brunsbüttel und Krümmel: Sozialministerin Trauernicht will nicht mit der Pressestelle des AKW-Betreibers Vattenfall verwechselt werden – und erst recht nichts verharmlost haben

Bei den Zwischenfällen in den Atomkraftwerken Krümmel und Brunsbüttel hat es nach Angaben der Umweltorganisation Greenpeace Bedienungsfehler des Betriebspersonals gegeben. Darauf habe die Gesellschaft für Reaktorsicherheit hingewiesen, sagte Greenpeace-Physikerin Oda Becker gestern. „Das lässt Rückschlüsse auf die Sicherheitskultur bei Vattenfall zu.“ Laut Berechnungen im Auftrag von Greenpeace habe der Stromkonzern von 1996 bis 2005 das Personal in Krümmel um rund zwölf Prozent verringert. Auch sei die Leistung des Kraftwerks 2006 um sieben Prozent erhöht worden. Derweil prüft die Reaktoraufsicht weiter, ob die Schnellabschaltung in Brunsbüttel direkt Auswirkungen auf Krümmel hatte. Nach Ansicht des Bundes für Umwelt und Naturschutz (BUND) wäre eine Kettenreaktion nicht nur wegen der Versorgungssicherheit ein Risiko: Wenn die Ursache im Netz liege, könnten ähnliche Störungen jederzeit an jedem anderen Atomstandort in Deutschland auftreten.  DPA/TAZ

VON ESTHER GEISSLINGER

Bloß kein falsches Wort sagen: Bei der gestrigen Sitzung des Sozialausschusses im Kieler Landtag gaben sich alle Beteiligten große Mühe, zwar sehr detailliert über das zu reden, was sich vor einer Woche in den Atomkraftwerken Brunsbüttel und Krümmel ereignet hat und wer wann wie darüber informiert war – aber auch hübsch unklar. Schon was grundsätzlich passiert ist, lässt sich so und so nennen: „Ich würde von Zwischenfällen reden, aber meine Fachabteilung sagt, Auffälligkeiten wäre der korrekte Begriff“, erklärte Sozialministerin Gitta Trauernicht (SPD), der die Reaktoraufsicht untersteht. „Ich sage es mal umgangssprachlich: aufgetretene Begleitumstände.“

Diese aufgetretenen Begleitumstände sind – wie inzwischen bekannt –, dass es bei der Schnellabschaltung des Reaktors in Krümmel nach dem Brand eines Trafos zu Störungen im Reaktor kam: Unter anderem sprang eine Wasserpumpe des Kühlungssystems nicht an (taz berichtete). Zwar funktionierten die weiteren Sicherheitssysteme, aber der Ausfall ist keine leichte Störung: Werden die Stäbe nicht gekühlt, kann es am Ende zu einer Kernschmelze kommen – nach mehrmaligem Nachfragen des Grünen-Abgeordneten Karl-Martin Hentschel bestätigte ein Experte des Ministeriums das grundsätzlich. Nach Medieninformationen war der Druck im Reaktorkern von 65 auf 20 bar abgestürzt, der Wasserfüllstand im Siedewasserreaktor sank unter 11,6 Meter und musste um mehr als drei Meter angehoben werden.

Davon war in den ersten Mitteilungen, die Ende vergangener Woche vom Betreiber Vattenfall und vom Ministerium selbst veröffentlicht wurden, keineswegs die Rede gewesen. Erst in den Tagen danach waren mehr Fakten bekannt geworden, Sozialministerin Gitta Trauernicht geriet dabei unter Druck: „Scheibchenweise Information“ warfen ihr Kritiker vor, darunter auch einige vonCDU und FDP.

Gestern schob Trauernicht die Schuld nun auf die Betreiberfirma: „Ich bin nicht deren Pressestelle.“ Es sei zunächst darum gegangen zu klären, ob ein Sicherheitsrisiko bestand – das sei nicht der Fall gewesen. Über gesicherte Informationen habe sie regelmäßig berichtet. „Meine Haltung ist bekannt“, sagte Trauernicht: „Kernenergie ist eine Hochrisiko-Technologie, zum Ausstieg gibt es keine Alternative.“

Versagt habe das Unternehmen Vattenfall, das selbst nur wenige Stellungnahmen abgab – und die waren teilweise falsch. So hatte der Konzern noch am Sonntag mitgeteilt, der Reaktor sei nicht betroffen gewesen. Auch hat Vattenfall den Vorfall laut Tagesspiegel mit der niedrigsten Meldestufe deklariert. Darüber werde sie mit den Zuständigen im Unternehmen sprechen, kündigte Trauernicht nun an. Ihr eigenes Vorgehen erklärte sie damit, sie habe nur gesicherte und geprüfte Tatsachen herausgeben wollen. Schließlich habe Vattenfall nicht zum ersten Mal falsche Informationen herausgegeben, sagte sie in Anspielung auf die Vorfälle im schwedischen Forsmark vor einem Jahr. Aber damit, warf ihr prompt der FDP-Abgeordnete Heiner Garg vor, habe Trauernicht ein falsches Bild vom Ausmaß der Vorfälle zugelassen: „Ich halte es für gefährlich, wenn der Eindruck entsteht, hier würde etwas verharmlost“, sagte Garg.

Die Ministerin erklärte, dass sie bereits am Tag des Brandes, am Donnerstag vergangener Woche, erste Informationen über die Vorfälle im Reaktor gehabt habe. Sie wies aber zurück, dies verschwiegen zu haben: Sie habe vielmehr „klar zum Ausdruck gebracht, dass Schnellabschaltungen keine Bagatelle sind und dass es zu Folgeschäden kommen kann“. Es sei vor allem um die Frage gegangen, ob der Brand den Reaktor gefährde. Das habe sie verneint.

Wenn Vattenfall ein so unzuverlässiger Betreiber sei, erklärte Garg, „Frau Ministerin, dann müssten Sie wissen, was zu tun ist“. Anke Spoorendonk vom SSW forderte, das AKW Krümmel stillzulegen: „Nur das gibt der Bevölkerung das Vertrauen zurück.“ Die Sozialministerin sei ihrer Verantwortung nicht gerecht geworden.

Trauernicht kündigte an, Vattenfall vorzuschlagen, die ohnehin geplante Revision des Werkes vorzuziehen, um genug Zeit für weitere Untersuchungen zu haben. Zahlreiche Fragen sind noch offen: Unter anderem, ob die Schnellabschaltung in Brunsbüttel den Brand in Krümmel eineinhalb Stunden später verursacht hat. Und es geht darum. wie sicher und stabil die deutschen Stromnetze sind, was derzeit auch die Bundesministerien beschäftigt. Der Meiler in Brunsbüttel ist bereits seit Sonntag wieder am Netz.