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Archiv-Artikel

Nasses Kunstnomadentum

Die Musikszene hofft auf ein Domizil in der Vahr, die gebeutelten Güterbahnhöfler haben eine Selbsthilfe-CD produziert

Für die vielfältig geplagte Bremer Musikszene gibt es ein paar Hoffnungsschimmer. Die rund 300 MusikerInnen, die vor fünf Wochen das Postamt 5 räumen mussten, haben gute Chancen auf ein Ausweichquartier in der Vahr: Zwei Gebäude der Schule Otto-Braun-Straße stehen leer. Sie sind zwar bei weitem nicht so günstig gelegen wie das Bahnhofs-Postamt, in dem der Kirchentag Quartier nimmt. „Aber wir sind ja nicht verwöhnt“, sagt Lars Friedrichs von den derzeit obdachlosen „TekFu“. Die von der Gesellschaft für Bremer Immobilien (GBI) angebotene Alternative wäre jedenfalls nicht einladender: Ein Trakt in der leer stehenden Vollzugsanstalt Blockland.

Statt Zellen zu 8,63 Quadratmetern (Friedrichs: „Wir hätten auch Wanddurchbrüche planen dürfen“) könnten bald 24 Schulräume zwischen 17 und 70 Quadratmetern zur Verfügung stehen – wenn die Mietverhandlungen abgeschlossen sind. Auch ein Schall-Gutachten ist noch in Arbeit, ein genügender Schallschutz für die AnwohnerInnen zeichnet sich laut Friedrichs, der die Gründung eines Musiker-Vereins vorantreibt, jedoch bereits ab. Akustische Interferenzen innerhalb der Häuser fürchtet der Gitarrist nicht: „Im Postamt hatten wir auch nur Rigipswände – da fielen schon mal die Gläser aus dem Regal, wenn die Nachbarn loslegten.

Vor Ort scheint es wenig Vorbehalte gegen die lautstarken künftigen MitbewohnerInnen zu geben. Ortsamtsleiter Werner Mühl steht dem Vorhaben offen gegenüber, ebenso die Betreiber der Evangelischen Bekenntnisschule – die allerdings hat 2009 ein Vorkaufsrecht für die Gebäude, um ihren Unterricht ausweiten zu können.

Selbst solche kurzfristigen Optionen sind für die Szene angesichts chronischer Raumknappheit wertvoll. Die etwa 100 MusikerInnen im Keller des Güterbahnhofs, geschädigt vom Wassereinbruch im Rahmen der „Amerika“-Inszenierung, sind derweil zur Selbsthilfe geschritten. Da nach wie vor unklar ist, ob und in welcher Höhe die Versicherung für den auf etwa 100.000 Euro geschätzten Schaden aufkommt, haben sie nun eine Benefiz-CD mit dem beziehungsreichen Titel „Hahn aufdrehen“ produziert. Der Sampler könnte mit seiner 1.000er-Auflage durchaus zur Lösung der finanziellen Probleme beitragen – nebenbei bietet er einen spannenden Überblick über die musikalische Bandbreite von 22 Güterbahnhof-Bands.

Henning Bleyl

CD-Bezug (12 Euro): Unter anderem „Ear“, Hot-Shot-Records“, Ostertor-Buchhandlung. Informationen über die ehemaligen Postamt-Bands: www.pa5.de.vu