Plötzlich retro

Das Leben streut seine Bilder, später sammelt man sie wieder ein: In „Born2bewild“ gräbt sich das Choreografen-Duo Rubato zu den verdrängten und den offenen Schichten ihres Künstlerseins durch

VON KATRIN BETTINA MÜLLER

Auf der Suche nach Impulsen für die Zukunft kommt unvermutet das Langzeitgedächtnis ins Spiel. Nicht nur dem Tanzduo Rubato geht es so, die sich in ihrer Performance „Born2bewild“ zurückkatapultieren in die Siebziger. Der Fernsehsender Arte hat gleich eine ganze Serie über den Summer of Love gestartet, Flowerpower 1967, Hippietracks und Psychedelic Revolution, Hoffnung auf Bewusstseinserweiterung statt Erweiterung der Waffentechnik. „Das ist Zufall“, sagt Dieter Baumann von Rubato. „Nein, vielleicht doch kein Zufall“, sagt Jutta Hell, seine Partnerin, „vielleicht liegt es am Alter“.

Bis zur Premiere in der Halle ließ Dieter Baumann in 22 Performancejahren auf der Bühne jedenfalls nie etwas davon sehen, dass er mal Gitarrist einer „Chaotenkombo“ gewesen ist, irgendwo im Kontext der Berliner Hausbesetzer. „Eine verdrängte Zeit“, sagt er. Für die beiden wurden die Bilder aus ihrer Vergangenheit, bevor sie zum Tanzduo Rubato wurden, wieder abfragewürdig, als eine mehrjährige Phase vieler Reisen und Tourneen zu Ende ging. Seit 2002 haben die beiden Berliner Choreografen mehrmals mit dem Jing Xing Dance Theatre aus Shanghai gearbeitet. Und wie schon oft nach der Arbeit an Gruppenstücken wollten sie jetzt in einem Duo wieder Standortforschung betreiben; ermitteln, was Rückkehr und Ankunft bedeuten.

Alles verstreuen und wieder einsammeln; Tisch, Hocker, Rucksack und Plastiktüte durch die Gegend schleudern und sich damit wieder einrichten; sich exzentrisch entäußern und wieder zu sich selbst kommen: Das Pendeln zwischen diesen Phasen gibt dem Stück seine Struktur und lässt sich recht eindeutig auf die Lebens- und Produktionsrhythmen nomadisierender Künstler beziehen. Viele Bewegungssequenzen sieht man dabei zweimal: Zuerst nur als abstrakten Durchlauf, in dem das Paar springend hoch steigt und über den Boden rollt, sich präzise ineinander verschränkt, anstößt und aufhält. Erst in der Wiederholung wird daraus eine kleine Erzählung über das Leben mit den Dingen, die bei all diesem tänzerischen Tun hierhin und dorthin geraten. Das sind keine bedeutungsvollen Gesten, sondern eher alltägliche, beiläufige Griffe, die erst in der Stilisierung zur Form werden.

So weit, so einleuchtend. Doch befremdlich ist, wie sich über diese Skizzen eines Lebens jene Bilder schieben, die dem Stück auch seinen Titel „Born2bewild“ gaben. Den Bruch markiert stets das Aufsetzen von langhaarigen, tierhaft verzottelten Perücken und ein Hang zur Pose, der dem Duo sonst sehr fern ist. Baumann gibt dann mit Gitarre, anfangs sehr leise und von Mal zu Mal lauter verstärkt, den coolen Musiker, Jutta Hell seinen Groupie oder das von Leidenschaft vibrierende Subjekt, das er beschwört. Der formale Minimalismus, mit dem die beiden diese Posen zitieren, bewahrt die Sache vor jedem falschen Vorschein von Authentizität. Aber dennoch bleibt im Ungewissen, wie sie sich auf diese Bilder beziehen: Wehmütig, als verlorene Jugend? Trotzig, als Anknüpfungspunkt für neue Utopien? Nachdenklich fragend, was von damals an Relevanz geblieben ist?

Das ist für sie selbst wohl auch noch unentschieden. Ihr Stück stellt diese Fragen erst einmal in den Raum. Vor allem aber bezieht es – und daran erkennt man dann doch die Handschrift der beiden stets einer spröden Skurrilität zuneigenden Choreografen wieder – aus diesen Zitaten eine stete Störung der sonst sehr routinierten Schritte zu zweit. Die Bilder werden einfach interessanter, gerade weil die popkulturell codierte Geste den aus allen Milieus losgelösten Bewegungsformen der beiden so fremd ist.

7. + 8. Juli, 12. - 15. Juli, 21 Uhr, in der Halle, Eberswalder Str. 10 - 11