: „Wettbewerb stärkt Schulen“
Ein zivilgesellschaftliches Bündnis schlägt „Bildungsgutscheine“ für Eltern vor. Sie sollen „die völlige Verkehrung der jetzigen Finanzierung“ bewirken, sagt Sybille Volkholz vom Bürgernetzwerk Bildung
SYBILLE VOLKHOLZ, 63, war 1989 und 1990 Bildungssenatorin für die Alternative Liste (AL) im ersten rot-grünen Senat. Heute leitet sie das „Bürgernetzwerk Bildung“ des VBKI.
INTERVIEW REGINA FINSTERHÖLZL
taz: Frau Volkholz, Sie fordern Bildungsgutscheine für alle Kinder. Was muss man sich eigentlich darunter vorstellen?
Sybille Volkholz: Der Staat würde nur noch einen Teil des Geldes an die Schulen direkt auszahlen. Über die Verteilung des anderen Teils entscheiden die Eltern: Sie bekommen das Geld und müssen es an eine Schule ihrer Wahl weitergeben. Das heißt: Die Eltern sind frei, zu wählen, wohin sie das Kind schicken. Die Schulen müssen somit ein Interesse daran haben, dass Eltern und Kinder zu ihnen kommen. Die Eltern würden in ihrer Wahlfreiheit erheblich gestärkt. Sie wüssten, dass sie mit der Schule kooperieren müssen.
Wie funktioniert die Finanzierung der Schulen jetzt?
Die Kinder werden den staatlich finanzierten Schulen nach ihrem Wohnort zugeteilt, die Eltern haben darauf keinen Einfluss. Deswegen müssen sich die Schulen nicht in erster Linie an den Interessen von Schülern und Eltern orientieren. Unser Plan ist also eine völlige Verkehrung der jetzigen Finanzierung.
Sie fordern aber auch eine volle staatliche Finanzierung der Privatschulen.
Ja, den Bildungsgutschein kann man an staatlichen und privaten Schulen einlösen. Das hieße, dass staatliche und Privatschulen gleich finanziert würden .
Was versprechen Sie sich davon?
Durch den größeren Wettbewerb untereinander sollen die Schulen verbessert werden. Schulen, die weniger nachgefragt werden, würden erheblich weniger Geld kriegen. Die müssten sich selbst wieder attraktiver machen.
Was bedeutet das für Kinder aus einkommensschwachen Familien?
Dieser Gutschein soll unabhängig vom Einkommen verteilt sein. Heute haben vor allem Wohlhabende die Möglichkeit, ihre Kinder auf Privatschulen zu schicken. Das können ärmere Eltern nicht. Dadurch, dass sie das staatliche Geld selbst in die Hand bekämen, würde ihre Position gestärkt. Bildungsfernere Eltern müsste man allerdings mit einer Beratung unterstützen.
Sehen Sie im Moment ein Zwei-Klassen-System im Bildungswesen?
Das ist eine sehr harte Formulierung. Ich würde sagen: unser Schulsystem ist hoch selektiv, so selektiv wie in keinem anderen OECD-Land. Kinder mit schwieriger sozialer Herkunft haben es außerordentlich schwer. Wir haben allen Grund, neue Systeme zu erproben.
Sehen Sie nicht die Gefahr, dass Kinder aus sozial schwächeren Familien Probleme haben, an einer Schule unterzukommen, weil es für das Ansehen einer Schule schlecht wäre?
Am Freitag traf sich ein Zusammenschluss gesellschaftlicher Organisationen zu einer „Kooperationskonferenz“. Vertreten waren der Paritätische Wohlfahrtsverband, die Bürgerstiftung Berlin und der Verein Berliner Kaufleute und Industrieller (VBKI). Ihr Ziel: die Stärkung der Zivilgesellschaft. Diskutiert wurde über Themen aus der Bildungs-, Wirtschafts- und Verwaltungspolitik. Über den Vorschlag der Einführung sogenannter Bildungsgutscheine sprach die taz mit der ehemaligen Schulsenatorin Sybille Volkholz, die jetzt das Bürgernetzwerk Bildung des VBKI leitet.
Nein. Von so einem Wettbewerb können alle Beteiligten profitieren. Man kann die Bildungsgutscheine auch mit dem Recht der Eltern auf die wohnortnahe Schule koppeln. Dann können die Schulen nicht alle Kinder abweisen, die sie nicht wollen. Außerdem könnte man die Schulen bei der Veröffentlichung ihrer Ergebnisse dazu verpflichten, auch etwas über die soziale Zusammensetzung der Schüler zu sagen. Dann wird eine Schule nicht mehr nur das Interesse haben, sich die Besten auszusuchen. Weil die Schulen dann daran gemessen werden, wie gut sie auch schlechte Schüler fördern.
Sie glauben nicht, dass sich die soziale Schere im Bildungsbereich durch dieses Instrument noch weiter öffnet?
Wir können noch so viele Befürchtungen haben, aber die jetzige Situation erfordert Veränderungen, und wir haben mit den Gutscheinen ein System, das man ausprobieren sollte.
Bislang stieß die Forderung nach einem Gutscheinsystem auf eher wenig Resonanz. Wie kam es jetzt zu diesem Vorstoß?
Unsere Initiative hat das Ziel, zwischen Zivilgesellschaft und Politik eine andere Kommunikation und Kooperation einzuleiten. Und da war es für alle Beteiligten klar, dass Bildung an erster Stelle zu stehen hat. In diesem Rahmen ist auch der Vorschlag mit den Bildungsgutscheinen entstanden.