: Lehrmeister der DDR-Schule
Werner Kirsch soll als Cheftrainer des Hamburger Arena-Boxstalls aus kubanischen Olympiasiegern Profi-Weltmeister machen. Arena-Chef Öner hofft dabei auf Kirschs Wissen um eisenharte Disziplin
von Ralf Lorenzen
Mit durchdringendem Blick, aber ruhiger Stimme redet Werner Kirsch in der blauen Ecke auf seinen Schützling ein. Dabei trocknet er ihm das Gesicht ab, schmiert Vaseline auf die Augenbrauen und kühlt die Wangenknochen. Auch nach dem Gong zur nächsten Runde sitzt jeder Griff. Ringseil mit dem Fuß runterdrücken, Hocker durchreichen, Betreuer durchlassen und dann mit einer katzenhaften Bewegung selbst raus aus dem Ring. Wie ein 69-Jähriger bewegt sich Werner Kirsch nicht. Für die nächsten Minuten sitzt er dann wieder gespannt wie ein Flitzbogen, aber fast wortlos am Ring.
„Ich kann hier ja nicht gleich am ersten Tag rumschreien, die Kubaner verstehen mich sowieso nicht. Aber das wird schon noch lauter.“ Werner Kirsch ist erst seit ein paar Tagen Cheftrainer der Hamburger Arena-Boxpromotion. Deren ehrgeiziger Besitzer Ahmet Öner strebt die Marktführerschaft im Boxgeschäft an und hat klare Vorstellungen von der Funktion des Diplom-Sportlehrers: „Werner Kirsch ist ein alter Haudegen aus der ehemaligen DDR-Trainerschule, die auch für eisenharte Disziplin steht.“
Diese deutsche Sekundärtugend sollen nun vor allem die drei als lebenslustig geltenden kubanischen Olympiasieger Odlanier Solis (Schwergewicht), Yuriorkis Gamboa (Fliegen) und Yan Bjartelemy (Halbfliegen) erlernen. „Das sind drei Bomben, boxerisch können die alles. Aber Raffinesse und Disziplin müssen sie noch lernen. Bei den Profis geht’s über 12 Runden, und wer in der letzten nichts mehr drauf hat, der verliert.“
Dass Kirsch überhaupt auf Vermittlung seines alten Kumpels Fritz Sdunek in Hamburg gelandet ist, verdankt er einer Niederlage. Bis Ende März war er noch Cheftrainer des Magdeburger SES-Boxstalls. „Nachdem mein Kämpfer Robert Stieglitz seinen WM-Kampf verloren hat, hieß es: Werner, am Monatsende ist Schluss. Auf der Pressekonferenz war ich dann wieder der allerbeste. Und trotzdem flieg ich raus? Das hat mich enttäuscht und traurig gemacht.“
Wenn Werner Kirsch an seine Karriere zurückdenkt, wird schnell klar, dass auch bei Boxern gebrochene Nasenbeine schneller verheilen als persönliche Enttäuschungen. Jahrelang dominierte er die Leichtgewichtszene der DDR, wurde später erfolgreicher Kader-Trainer beim TSC Berlin und hängte dann wegen eines Streits mit dem Verbandstrainer Mitte der siebziger Jahre die Handschuhe von einem Tag auf den anderen an den Nagel. Für 26 Jahre! „Damals war ich ein Hitzkopf,“ sagt er und macht dabei nicht den Eindruck, als würde er sich heute alles gefallen lassen.
Vom Ring zog es den Hitzkopf hinter die Theke, erst im „Haus des Lehrers“, anschließend in zwei eigenen Kneipen. Und während seine ähnlich gebauten Old-School-Kollegen Manfred Wolke, Ulli Wegener und Fritz Sdunek mit Maske, Ottke und den Klitschkos Karriere machten, übernahm Kirsch nach der Wende die Gaststätte „Tagesbahn 69“. „War ein tolles Ding, aber eines Tages hatte ich den Rand voll mit der Kneiperei.“
Der Kontakt zum Boxen riss in all den Jahren nicht ab. „Wenn Veranstaltungen waren, habe ich mich gut angezogen und in die erste Reihe gesetzt. Das Boxen verlernt man nicht. Nur von der Belastungsplanung hatte ich keine Ahnung mehr. Das habe ich mir mit Ulli und Fritz und den Leistungsdiagnostikern neu erarbeitet.“ Im Jahr 2000 entschloss er sich zum Comeback und wurde für sechseinhalb Jahre Trainer bei Ulf Steinforth. „Und dann hat er mich verabschiedet. Heute kann ich darüber lachen.“ So wollte sich der eisenharte Coach nicht zum alten Eisen machen lassen und heuerte bei Ahmet Öner an. „Auf meinem Balkon sitzen kann ich auch später noch.“
Beim Kampfabend am vergangenen Freitag im Groß Borsteler Arena-Gym gewannen alle im Einsatz befindlichen Kirsch-Schützlinge, neben den Kubanern Solis und Gamboa auch der Lokalmatador Mahir Oral (Mittelgewicht). Kirsch weiß, dass die Messlatte für die Zukunft hoch liegt. „Wir müssen Weltmeister machen.“ Dabei will er zwar geradlinig, aber behutsam vorgehen, getreu seinem didaktischen Motto: „Man kann auch von den Dümmsten lernen.“