: Toleranz ist was für Luschen!
Der Papst hat also jetzt im Europaparlament gesprochen. Der ist ja ein netter Kerl und allgemein angesehen, auch weil er seinem verstaubten Verein den Muff von zweitausend Jahren wegpusten will. Sogar bei Linken ist der Herr Papst durchaus beliebt, wenngleich manche Abgeordnete beinahe den Saal verlassen hätten, als er „gegen das Töten eines Kindes vor der Geburt“ – vulgo Schwangerschaftsabbruch – wetterte.
Sonst hat sich aber kaum jemand aufgeregt. Aber ist das nicht ein Skandal, dass der Frontmann der mächtigen Institution Katholische Kirche in einem Parlament seine Agenda trommeln darf? Denn die Kirche „mahnt“ ja nicht nur, sie greift auch sonst wie mächtig ins Geschehen ein, und will am Ende auch die Gesetze wieder zu ihren Gunsten verändern.
Natürlich kann man sagen, dass ein Papst durchaus die Meinung vertreten darf, dass er Schwangerschaftsabbrüche falsch findet. Schließlich herrscht doch Meinungsfreiheit! Nun lässt sich einwenden, dass es sich bei einer Papstrede nie nur um die Meinungsäußerung einer Person handelt, sondern dass aus ihm immer auch die Institution spricht – also Macht, möge diese Macht auch in unseren Breiten ziemlich erodiert sein. Trotzdem muss man die Meinung des Papstes eben auch tolerieren.
So, jetzt habe ich es auch einfach so hingeschrieben, das Unwort: Toleranz! Die ARD machte ja eben eine ganze Themenwoche zur Toleranz, und dem Thema entsprechend wurden auch notorisch Intolerante wie Matthias Matussek eingeladen, die wir auch tolerieren sollen. Doch schon mit der Themenwahl haben sich die Programmmacher in die Nesseln gesetzt, schließlich hat Toleranz einen ganz üblen Hautgout. Toleranz! Man wagt das Wort gar nicht mehr auszusprechen! Toleranz, was für eine Weicheier-Idee!
Ganz Linke und ganz Rechte beispielsweise sind sich nicht in sehr vielen Dingen einig, aber in einem Punkt sehr wohl: Toleranz ist Mist. Die Rechten, weil sie gar nichts tolerieren wollen, keine Ausländer, keine Muslime, keine Lesben, niemanden, der irgendwie anders ist als der von ihnen imaginierte Einzelne der homogenisierten Volksgemeinschaft. Wo die harte Rechte in die Mainstream-Rechte übergeht, da wird gerne von einer „falschen Toleranz“ geredet. Die Linken wiederum finden Toleranz doof, weil in dem Wort eine Herablassung drinsteckt, eine nur mäßig kaschierte Verachtung: Was man bloß toleriert, das achtet man ja nicht. Wenn man Schwule oder Lesben nur toleriert, dann versagt man ihnen letztlich Respekt und Anerkennung. Also, nicht Toleranz ist ein erstrebenswertes Ziel, sondern Respekt.
Slavoj Zizek hat sogar ein kleines Büchlein geschrieben, auf dessen Titelseite prangte: „Ein Plädoyer für die Intoleranz.“ Toleranz sei die weichgespülte Ideologie des westlichen Konsumkapitalismus, in dem kein Platz mehr ist für echte, ernste Überzeugungen und Entscheidungen. Alles wird toleriert, weshalb auch nichts mehr geschieht. Schon Pier Paolo Pasolini war der Meinung, dass die „Ideologie hedonistischer ‚Toleranz‘ die schlimmste aller Repressionen der Menschheitsgeschichte ist“.
Kurzum, man hat den Eindruck, aus den verschiedensten Gründen will niemand mehr die Toleranz tolerieren.
Ich hingegen finde Toleranz gar nicht so schlecht. Damit bin ich genauso altmodisch wie mein Kollege Armin Thurnher, der unlängst schrieb, die „Toleranz ist das Fundament unserer Gesellschaftsordnung“. Ich muss nicht alles, was anders ist, gleich respektieren und toll finden. Denn erstens darf ich auch ignorant vor mich hin leben und meine Scheuklappen haben. Ich muss also nicht alles, was Respekt verdient hat, respektieren, aber ich sollte es zumindest tolerieren. Es ist nicht die schlechteste Seite zeitgenössischer Gesellschaften, dass wir oft desinteressiert nebeneinander her leben. Toleranz verlangt nicht mehr als ein wenig Gelassenheit; Respekt braucht schon ein gewisses Interesse, das sich nicht immer aufbringen lässt. Zugegeben, in diesem Fall liegt das Defizit, das die Toleranz vom Respekt trennt, ja eher auf meiner Seite. Es gibt aber auch genügend Unsinn in der Welt, den ich überhaupt nicht respektieren will: Chemtrail-Irre; Leute, die glauben, die Evolutionstheorie sei eine Erfindung des Teufels; Leute, die meinen, der Sinn des Lebens bestünde darin, gemäß den Worten Allahs zu leben; Wähler der FPÖ; aufgeblasene Wichtigtuer in Vorstandsetagen, die wirklich meinen, dass es gerecht sei, wenn sie Millionen bekommen und die anderen nur Krümel. Es gibt tausenderlei Unsinn, den zu tolerieren ich gut beraten bin, den ich aber nie und nimmer respektieren werde, sofern respektieren mehr heißt als achselzuckend hinzunehmen, dass eben auch grober Unfug seine Existenzberechtigung hat.
ROBERT MISIK