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Archiv-Artikel

Alles auf Anfang gestellt

Atari Teenage Riot existieren nicht mehr, Alec Empire aber lebt. Nach eher ruhigen Jahren will er jetzt mit neuer Band und neuem Label im neuen Riesenbüro wieder durchstarten, klingt aber neuerdings fast wie ein Sprecher von „Partner für Berlin“

VON ANDREAS HARTMANN

Deutsche Popstars von internationalem Format, da fallen einem nicht sehr viele ein. Blixa Bargeld, Klaus Meine, Rammstein, DJ Hell vielleicht noch – und Alec Empire. Auch wenn es um diesen in den letzten Jahren ziemlich ruhig geworden war. Seine größten Erfolge feierte er mit seiner Band Atari Teenage Riot, doch das war bereits im letzten Jahrtausend. In den Neunzigern war die Band ein unglaubliches Phänomen und Empire wurde von den Beastie Boys bis Björk hofiert. Breakbeat, Metal, derbe Lautstärke und linksradikale Parolen, mit dieser Mischung wurden Atari Teenage Riot vor allem im Ausland, in den USA und Japan, als musikalische Inkarnation dessen gefeiert, was man sich damals so unter dem Begriff Cyberpunk vorstellte.

Unvergessen auch die Bilder eines andauernd die Faust in die Luft streckenden Alec Empire, der auf Konzerten seinen berühmt geworden Spruch „Riot Sounds produce Riots“ raushaute, der nie den subtilen Ausdruck suchte, sondern mit Songtiteln wie „Destroy 2000 Years of Culture“, “Deutschland has got to die“ oder „Hetzjagd auf Nazis!“ mit der Tür ins Haus fiel. Sagenumwoben gar der Auftritt der Band beim 1. Mai 1999, als sie hoch auf dem Wagen durch Kreuzberg fuhr – „Burn, Berlin, burn!“ – die Revolution einforderte und nach Ausschreitungen von der Polizei verhaftet wurde. Bis heute streitet man sich darüber, ob Alec Empire all den Agit-Prop, um den sich sein Schaffen permanent drehte, wirklich ernst meinte oder ob er vor allem ein begnadeter Selbstvermarkter ist.

Ein Nesthocker?

Fakt bleibt, dass man sich bei Alec Empire jedenfalls nie langweilen musste. Der Mann war laut, provokativ und sein Wille, Popstar zu sein, unübersehbar. Berlin wurde einem wie ihm, der als Alexander Wilke in Frohnau geboren wurde, irgendwann zu eng. Seine einflussreiche Plattenfirma Digital Hardcore Recordings hatte ihren Sitz in London, wo Alec Empire selbst die letzten Jahre lebte. Doch so richtig im neuen Jahrtausend angekommen schien der Mann, über den die Zeit nach dem medienwirksamen 1.-Mai-Auftritt in Berlin einmal das Gerücht kolportierte, er sei in Wahrheit ein „Nesthocker, der noch bei seinen Eltern wohnt“, nicht. Atari Teenage Riot ist schon vor Jahren zerbrochen. Mit dem ehemaligen Bandmitglied Hanin Elias ist Alec hoffnungslos verstritten und ein anderer aus der Band, Carl Crack, ist bereits viel zu jung verstorben, Atari Teenage Riot sind unwiderruflich Geschichte. Und dann gab es da noch eine Soloplatte vor ein paar Jahren, eine Art Comeback, ein Atari-Teenage-Riot-Derivat, das für große Aufregung nicht sorgen konnte.

Die letzten Jahre des Alec Empire wirken also ziemlich orientierungslos. Er zehrte eher vom alten Ruhm, eine ganz neue Generation von Breakbeat-Brachialmusikern bezieht sich heute auf ihn, vor allem frühe Digital-Hardcore-Platten verkaufen sich immer noch gut. Doch das soll sich jetzt ändern. Geschichte wird wieder gemacht. Alles ist auf Anfang gestellt. Alec Empire schlägt zurück, aus der deutschen Hauptstadt, mit neuer Band, neuem Label – und ansatzweise einem neuen Sound.

In seinem neuen Büro in Kreuzberg, wo sein Label „Eat your heart out“ residiert, wird man von einem freundlichen, jungenhaft und beinahe schüchtern wirkenden Alec Empire begrüßt. Entweder er hat den Popstar und den ewigen Rebellen heute und für dieses Interview zu Hause gelassen, oder diese Ruhe und Gelassenheit ist nun der neue Empire-Style. Noch ist gar nicht so recht klar, welche Signale von der neuen Zentrale Empires ausgesandt werden sollen. Von ihm und seiner neuen Begleitband, den Hellish Vortex, gibt es vorerst nur eine Maxi, die noch nicht wirklich die Frage beantwortet, wo genau es musikalisch hingehen soll. Abstrakte Elektronik, eher schleppend als mitreißend, mal mit Gesang, mal ohne, leicht rockig, das gibt es hier zu hören. „C’mon, Berlin“ heißt es in einem der Stücke. Die Platte wirkt so, als würde die junge Band noch nach ihrem Sound suchen. Auch für das neue Label gibt es bislang nur vage Pläne. Alte Mitstreiter von damals, als Digital Hardcore Recordings den heißesten Sound des Planeten verkörperte, sollen wieder mit dabei sein, etwa Christoph De Babalon, dessen neue Sachen sich Empire aber erst noch anhören müsse. Konkret ist nur, dass er bereits ein paar junge englische Rockbands mit elektronischem Einschlag gesignt habe, von denen es noch in diesem Jahr etwas zu hören geben soll.

Nach der großen Vision klingt das alles noch nicht, und Alec Empire bemüht sich auch gar nicht richtig, diese herbeizureden. In früheren Zeiten hätte er Welt-Eroberungspläne kundgetan, mindestens, doch hier und heute ist ihm nicht viel mehr zu entlocken als: „Wir haben viele Ideen und wollen die umsetzen.“ Interessieren tut einen natürlich: warum jetzt wieder Berlin für die Umsetzung dieser Ideen gut genug sein soll? „Jede Stadt hat so Wellen“, sagt er, „Ende der Neunziger war es nicht mehr besonders in Berlin, doch jetzt ist es hier wieder spannend. Es gibt hier viel Freiraum, die Stadt erscheint mir wie eine weiße Leinwand, die bemalt werden will.“

Alec Empire im Riesenbüro

So was hört man in Berlin natürlich gern. Da zieht einer weg aus London, weil er es hier viel spannender findet – die Stadtzeitschriften dürften begeistert sein, die im Senat auch. Vor allem von dem, was Empire sonst noch über unsere Stadt zu sagen weiß: „Ich glaube, neue Ideen können aus Berlin kommen.“ Wenn man sich gerade so umschaut in Berlin, weiß man zwar nicht genau, von was Alec Empire redet, da popkulturell hier gerade so ziemlich gar nichts zu gehen scheint außer dem üblichen Clubgeschehen. Doch mit dem Inkubator neuer Ideen meint er natürlich vor allem sich selbst. Aber eigentümlich ist das schon, Alec Empire so reden zu hören wie einen Sprecher von „Partner für Berlin“, daran muss man sich erst einmal gewöhnen. Früher hat er diese Stadt als kleinkariert beschimpft und verbale Brandbomben geworfen, nun sitzt er da in seinem ultraschicken Riesenbüro mit integriertem Studio und Fitnessgeräten und gibt sich ganz versöhnlich. „The Destroyer“ nannte sich Empire früher einmal, von Zerstörung kann nun keine Rede mehr sein, jetzt wird aufgebaut, zurück in der Heimat. Und die geballte Faust bleibt, zumindest hinter der Bühne, in der Tasche.