Zwei bis drei Dimensionen

DER BILDHAUER ALS FOTOGRAF UND FILMER Das Pariser Centre Pompidou stellt Constantin Brancusi als einen Künstler vor, der sich meisterhaft zwischen Bild und Skulptur bewegte

Indem Brancusi zur Kamera greift, macht er sich zum ersten Interpreten seiner Skulpturen

VON STEFFEN SIEGEL

„Warum“, so soll der rumänisch-französische Bildhauer Constantin Brancusi einmal einen Journalisten gefragt haben, „wollen sie denn über meinen Skulpturen schreiben? Würde es nicht reichen, einfach Fotografien von ihnen zu zeigen?“ Diese beiden Fragen sind weit weniger naiv, als es zunächst scheinen mag. Denn als Brancusi im Jahr 1947 so fragte, war er nicht allein seit Jahrzehnten einer der angesehensten Bildhauer in Paris. Beinahe ebenso lange schon stand er auch hinter der Kamera – als Fotograf wie als Filmer. Und vor die Linse gelangten ihm nahezu ausschließlich seine eigenen Skulpturen.

Tatsächlich scheint kaum ein Werk der klassischen Moderne so sehr danach zu verlangen, mit der Kamera interpretiert zu werden, wie das von Brancusi. Durch die radikale Reduktion der plastischen Formen knüpfte er an das Spätwerk des von ihm bewunderten Rodin an und führte seine Skulpturen zuletzt zu einem Grad von Abstraktion, der den Betrachtern dieser Arbeiten eine fortgesetzte Deutungsarbeit abverlangt. Ob in Bronze, Marmor, Holz oder Gips – zuletzt ist es immer der Ausdruck ganz einfacher Formen, den Brancusi in seinen Skulpturen verdichtete und der sich kaum anders als durch kreisende Bewegungen erfahren lässt, mit denen diese Arbeiten immer wieder neu in den Blick genommen werden.

Seit der Bildhauer 1956 dem französischen Staat seinen künstlerischen Nachlass vermachte, besitzt das Musée national d’art moderne nicht allein die größte Sammlung seines plastischen Werks, das alte Ateliergebäude inklusive, sondern auch einen Fundus von 700 Negativen und 1.600 Abzügen seiner Fotografien sowie kurze Filme, die Brancusi selbst gedreht hat. Und eine bedeutende Auswahl hieraus ist gegenwärtig in der fulminanten Ausstellung „Images sans fin“ im Pariser Centre Pompidou zu sehen. Vorgestellt wird Brancusi hier als ein Künstler, der sich meisterhaft zwischen den zwei Dimensionen des Bildes und den drei Dimensionen der Skulptur zu bewegen verstand.

Dabei stand ganz am Anfang seines Interesse an Fotografie und Film eine Enttäuschung. Die Aufnahmen, die kein anderer als Alfred Stieglitz für eine New Yorker Ausstellung von Brancusis Skulpturen anfertigen ließ, trafen nicht auf dessen Zustimmung. Brancusi erwies sich in seiner Kritik als ein überaus folgsamer Schüler seines Mentors Rodin. Denn schon dieser überwachte geradezu obsessiv die fotografische Reproduktion seiner Skulpturen und engagierte hierfür einzig namhafte Fotografen, unter ihnen etwa Edward Steichen. Doch Brancusi geht einen entscheidenden Schritt weiter, wenn er spätestens seit den 1920er Jahren, unter der Anleitung seines Pariser Künstlerkollegen Man Ray, selbst zur Kamera greift. Und er wird hierbei, beinahe unter der Hand, zum ersten Interpreten seines eigenen skulpturalen Werks.

Es sind genuin fotografische und filmische Mittel, die Brancusi für seine fortgesetzte Deutungsarbeit zur Geltung kommen lässt. In immer neuen Versuchen leuchtet er seine Skulpturen aus und erprobt immer neue Perspektiven. Mal zeigt er seine Arbeiten in einem gewissermaßen rohen Zustand inmitten des Chaos, das seine Atelierräume beherrscht. Dann wieder werden die Skulpturen in einer unbestimmten, beinahe schon klinischen Umgebung inszeniert. Vor allem aber sind es die kurzen Filme, von denen viele seit ihrer Entstehung in den 1930er Jahren zum ersten Mal überhaupt öffentlich gezeigt werden, die einen Eindruck davon vermitteln, welche Blicke der Bildhauer selbst auf seine Arbeiten gerichtet sehen wollte. Und gerade dies ist das Ereignis all dieser fotografischen und filmischen Dokumente: Es handelt sich um Bild gewordene und überaus qualitätsvolle Anweisungen zur Betrachtung eines skulpturalen Gesamtwerks.

Bereits am Ende des 19. Jahrhunderts hatte der Kunsthistoriker Heinrich Wölfflin in einem über mehrere Folgen publizierten Aufsatz darüber nachgedacht, nach welchen Regeln man Skulpturen aufnehmen solle. Und mit guten Gründen hat diese Frage die akademische Kunstgeschichte seither nicht mehr losgelassen.

Denn kein Bild von einer Skulptur zeigt einfach nur diese. Auf folgenreiche Weise mischt sich, willentlich oder nicht, dieses Bild selbst immer schon in die Betrachtung mit ein. Vor diesem Hintergrund ist die Pariser Ausstellung ein Glücksfall. Denn ohne sich in kunsttheoretische Debatten zu versteigen, schult sie am Beispiel von Brancusis Werk das Auge des Betrachters für ebendieses Problem. Und macht hierbei bereits mit ihrem Titel darauf aufmerksam, dass zwischen der zweiten und der dritten Dimension die Produktion der Bilder so schnell nicht an ihr Ende gelangt.

■ „Images sans fin“: Bis 12. September, Musée national d’art moderne im Centre Pompidou Paris, Katalog 39,80 Euro