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Archiv-Artikel

Wider das vorschnelle Verstehen

THEATER Das Theaterlabor gedenkt auf seine Weise des vor 25 Jahren gestorbenen Regisseurs Andrej Tarkowskij – mit einer kargen, ehrfürchtigen Hommage

Dankenswerterweise erlag Schimanski nicht der Versuchung, ein Atomkatastrophenstück zu machen. So kurz nach Japan. Und angesichts von Tschernobyl, das in „Opfer“ so prominent hineinragt

von Tim Schomacker

Die Bäume sind nach oben hin offen. Als irreale Schonung stehen sie in der rechten hinteren Bühnenecke. Man sieht ihnen das Requisitische mehr an als das Baumhafte; zylindrische Stämme, die unterhalb der Decke enden – und unterhalb der „Baumkrone“. Sie sind keine Natur, sondern Kunst. Und im Kunst-Zusammenhang darum umso realer. „Eine Nacht im schwedischen Sommer“ ist ein Stück über Kunst. Und über deren eigene Arten, sich als realistisch zu verstehen. Geschrieben hat es der große schwedische Schauspieler Erland Josephson – während der Dreharbeiten zu „Opfer“, dem letzten Film von Andrej Tarkowskij. Produktion und Premiere von „Opfer“ sind – genau wie Tarkowskijs Tod – ein Vierteljahrhundert her. „Eine Nacht im schwedischen Sommer“ wird derzeit vom „Theaterlabor“ erstmals in deutscher Sprache aufgeführt. Bei Regisseur Patrick Schimanski als karge und bisweilen augenscheinlich ehrfürchtige Hommage an den langsamsten und vielleicht konzentriertesten aller russischen Filmemacher.

Dankenswerterweise erliegt Schimanski nicht der Versuchung, ein Atomkatastrophenstück daraus zu machen. So kurz nach Japan. Und angesichts von Tschernobyl, das in die Story wie in den Mythos von „Opfer“ so prominent hineinragt. Stattdessen wird kunstvoll und beredt gewartet in Josephsons Stück. Tarkowskij, der hier nur „Der Russe“ heißt, wartet auf den richtigen Himmel für die nächste Einstellung. Josephson selbst, der hier namenlos „Ich“ heißt, wartet nebst Schauspielkollegen, Produktionsleiterin und Dolmetscherin auf Tarkowskij. Ohne ihn können sie nicht weitermachen. Das nervt, kostet Zeit und Geld. Fördert aber ein Nachdenken über ihre Rollen als Künstlerinnen und Schauspieler, als Westeuropäer und Schwedinnen, als Menschen und Produktionsleiterinnen zu Tage, das es mit reibungslosem, drehplanmäßigem Ablauf nicht gegeben hätte.

„Der Wind, das Licht und der sowjetische Parteiapparat sind gegen ihn. Der westliche Kapitalismus mit seinen Lohnforderungen ist gegen ihn“, sagt die Hauptfigur über den qua Systemkonflikt und Exil aus Raum und Zeit gefallenen Regisseur. Frank Warneke spielt seinen Josephson mit nachdenklicher Zurückhaltung. Eine Reihe von traumartigen Dialogen – in denen „der Russe“ nicht russisch spricht, das Gespräch nicht übersetzt werden muss – richtet „Ich“ sich (nicht nur künstlerisch) neu aus. „Im Traum braucht man keine Übersetzer“, sagt er gleich zu Anfang, „der Traum ist es, den man übersetzen muss“. Entlang dieses Leitsatzes nähert sich Josephson jener Sprache, die Tarkowskij gefunden hat, die „dem Wesen des Films entspricht“, wie Ingmar Bergman einmal gesagt hat. Und wir im Publikum mit ihm. „Das Leben als Traum“. Das Längliche des Concordia-Raums wurde zu Gunsten einer cinemascopehaften Breite aufgelöst. Das Publikum muss oft den Kopf drehen. Von einer Tür oben in der gegenüber liegenden Wand, von den Außenseiten ragen Bruchstücke aus Tarkowskijs Klassikern „Stalker“ und „Solaris“ in die Handlung, dazu Ausschnitte aus Tarkowskijs Filmästhetik „Die versiegelte Zeit“. Der Film, heißt es dort, ähnele der Bildhauerei, die aber nicht am Werkstoff, sondern innerhalb der Zeit gestaltet wird. Diese Idee macht sich Schimanski zu eigen, baut aus Josephsons und Tarkowskijs Texten eine gut neunzigminütige Skulptur. In der simple Gegenstände wie ein Stuhl oder eine Karaffe mit Milch mit Bedeutung aufgeladen – aber nicht erklärt werden. In der musikalische, filmische, textliche Korrespondenzen geschaffen, aber nicht vor-gedacht werden. In der schließlich der Film, „Opfer“ – wie in Josephsons Vorlage auch – nur über Bande betrachtet wird. Höhlengleichnis statt Making-Of. Wenn sich etwa die junge, aufstrebende Schauspielerin Lotti (mit einigen impulsiven „Susanne-Lothar-Momenten“: Angela Weinzierl) in „den Russen“ verliebt, birgt das weniger amourös-dramatisches Potenzial für Arthaus-Celebrities, als dass es eine mögliche Konstellation verdeutlicht. Wenn sie in atemlosem Stakkato sagt: „Dass ich so verdammt beliebt bin, hilft mir nur leider nicht, meine inneren Konflikte zu gestalten“, durchweht sogar ein Hauch Pollesch den echt-unechten Gotlandwald und Josephsons Text. Genau wie, wenn Erika Bests Viktor, vom Warten am Deutlichsten genervt, immer wieder damit hadert, dass alle alles, was er tut, dauernd auf Eichmann beziehen, seit er den Vernichtungsvordenker erfolgreich in einer Bühnenproduktion gibt. Versteht man nach neunzig Bühnenminuten Tarkowskij besser? Vielleicht nicht.

Alexander Abramyan gibt „den Russen“ in abgewetzter Lederjacke (und mit echtem und tatsächlich dolmetschungsbedürftigem Russisch) als scheues wie bestimmtes Mysterium. „Wieso sagst Du die ganze Zeit, ich verstehe?“, hält er seinem Hauptdarsteller in einer der Traumsequenzen vor. „Du kannst meine Sprache nicht, kannst kaum Puschkin buchstabieren und sagst trotzdem, ich verstehe, sobald ich den Mund aufmache.“

Patrick Schimanski und seinem Ensemble ist es gelungen, mit einer durchwarteten „Nacht im schwedischen Sommer“ unser vorschnelles Verstehen zu befragen. Die Bäume sind nach oben hin offen. Und das ist gut so.

■ weitere Vorstellungen heute und morgen, 19.30 Uhr, Concordia