: Berserkerei zur Mittagstunde
TODESFALL Bei einer Keilerei zwischen Fans von Atlético Madrid und La Coruña stirbt ein Fan. In Spanien ist der Schrecken allseits groß, weil man das Gewaltproblem unter Kontrolle wähnte
MIGUEL ÁNGEL GIL MARÍN, GESCHÄFTSFÜHRER VON ATLÉTICO MADRID
BARCELONA taz | In der Ära der Smartphones gehören zur Fußball-Keilerei nicht zuletzt die Videos. Am Sonntag waren die Bilder der Barbarei schon wenige Stunden in zahlreichen Internetfilmen zu sehen: wie gut hundert Schläger des Frente Atlético und knapp hundert der Riazor Blues auf dem schmalen Parkstreifen am Fluss Manzanares mit Latten und Baseballschlägern losziehen; wie sie mit Stühlen aufeinander schmeißen; wie Bengalos hin und her fliegen; wie mehrere Personen in den Fluss stürzen oder gestürzt werden; wie einer minutenlang ruft: „socorro“ – „Hilfe“.
Wenn nur einer tatsächlich geholfen statt gefilmt hätte, wenn einer der auf den Videos zu sehenden Polizisten einen Bergungsversuch unternommen hätte, wenn es nicht ein halbe Stunde gedauert hätte, bis ihn die Feuerwehr schließlich aus dem novemberkalten Fluss zog – dann würde Francisco Javier Romero Taboada wohl noch leben, dann hätten seine beiden Kinder, 19 und 4 Jahre alt, wohl noch einen Vater. Dann wäre die brutale Schlacht zwischen Anhängern von Atlético Madrid und Deportivo de La Coruña wohl schnell in Vergessenheit geraten, und „Jimmi“, wie der Tote in der Szene genannt wurde, würde nächste Woche wieder mit den anderen Ultras im Estadio Riazor des galicischen Erstligisten stehen. Doch ein Todesfall ändert manches, vielleicht sogar: alles.
Was ist da los in unserem Land? Diese Frage stellen sich die Spanier jetzt quer durch die Thekengespräche und Radiotalkshows. Nicht zuletzt die Uhrzeit macht die Berserkerei ja so erschreckend: ein Sonntagmorgen, wenn das Land der langen Nächte gerade erst erwacht; vor dem Mittagskick, der wegen der Vermarktungschancen in Asien eingeführt wurde – bei einem Spiel mit geringem Sicherheitsrisiko. So die Einstufung der Behörden für die Partie am Sonntag.
Tatsächlich gehören der rechtsextreme Frente Atlético und die linksradikalen Riazor Blues zu den (wenigen) großen und gewalttätigen Ultra-Gruppierungen. In Wirklichkeit hatte es schon vorigen Sommer bei der Meisterfeier von in La Coruña lebenden Atlético-Fans einen Zusammenstoß und über die sozialen Netzwerke fortan die Verabredung zur Revanche bei nächster Gelegenheit gegeben. Und es setzte sich aus Galicien ein Bus mit einschlägigen Hooligans in Bewegung zum fest verabredeten Treffpunkt für eine fest verabredete Prügelei. Eine Blamage für die Politik, für die der für Sport zuständige Bildungsminister José Ignacio Wert einräumte: „Wenn wir ehrlich sind, waren wir nicht entschlossen genug gegen die Ultras.“
Dabei wirkt in kaum einem europäischen Land der Fußball so gewaltfrei – auch weil die Fans kaum zu Auswärtsspielen reisen. Mit Ausnahmen weniger Klubs ist die Ultrakultur ein Randphänomen. Dennoch ist der 43-jährige Romero Tabaoda bereits der elfte Todesfall im spanischen Fußball seit 1982.
„Die Ultras müssen verschwinden, ein für alle Mal und aus allen Stadien“, forderte nun stellvertretend die Madrider Sportzeitung As, und die Politik legte nach: „Wir verpflichten uns, die Ultras aus dem Fußball zu verbannen“, erklärte Sportstaatssekretär Miguel Cardenal nach einem Treffen der zuständigen Behörden. „Wir werden dafür eine Liste erarbeiten und uns eine Frist setzen. Wer mit den Radikalen kollaboriert, wird mit extremer Härte bestraft.“ Fürs erste sei mit der Schließung von Tribünen zu rechnen.
Klingt nach harten Zeiten für Beschwichtigungsrhetoriker wie Miguel Ángel Gil Marín. Der Geschäftsführer von Atlético bemühte am Sonntag die Einzeltäterthese: „Unter 4.000 (Ultras, d. Red.) gibt es immer einen Hurensohn.“ Er maße sich nicht an, den „Frente“ aufzulösen, so der Sohn von Ex-Klubpatriarch Jesús Gil: „Ich habe Freunde, die mit ihren Kindern da hingehen, und das sind vollkommen ordentliche Leute.“ FLORIAN HAUPT