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Archiv-Artikel

Der Pop, mal durchgezählt

Die kritische Zahl im Pop ist natürlich die 27, was vor Kurzem von Amy Winehouse bestätigt wurde, weil die Sängerin doch im Alter von 27 Jahren gestorben ist und sie sich damit in dieselbe Reihe gestellt hat, in der bereits die Namen von Brian Jones, Jimi Hendrix, Janis Joplin, Jim Morrison und Kurt Cobain notiert sind. Der sagenhafte Club 27. Warum sich aber Popstars gern genau in diesem Alter in den Tod verabschieden, versuchte man bereits mithilfe der Astrologie zu erklären oder mit dem schieren Zufall, und der Psychiater Borwin Bandelow macht es mit einer Art Fieberkurve, nach der eben die 27 ein besonders kritisches Alter für Borderliner sei. In diesem Zusammenhang äußerte er in einem SZ-Interview auch seine Kernthese, dass es keineswegs der Ruhm ist, der die Künstler zerfleische, sondern ganz im Gegenteil: „Viele Künstler bekommen nicht deshalb Probleme, weil sie erfolgreich sind, sondern sie werden erfolgreich, weil sie ein Problem haben.“

Und Probleme drängen ja irgendwie zur Kunst und das tut auch ein ausgeprägter Narzissmus, so ein Symptom bei Borderlinern, die ihren Kick dann halt gern auf der Bühne bekommen, süchtig nach dem Applaus.

Aber nicht jeder Künstler ist deswegen ein Borderliner, wobei man doch gern wissen würde, was eigentlich R. Stevie Moore so antreibt, der seit den Siebzigern die unglaubliche Zahl von über 400 Alben herausgehauen hat, auf Kassetten und selbstgebrannten CDs, und noch etliche „offizielle“ Platten auf Kleinstlabels dazu, auf denen sein Do-it-yourself-Pop neben Zauselexperimenten durchaus auch an den Beach Boys abgemessen ist. Manisch könnte man den Moore’schen Produktionsschub nennen oder halt als Ausweis unerschöpflicher Kreativität, in die sich der Mann aus Nashville eingegraben hat. Seinen Applaus scheint er dabei nur vermittelt zu suchen und nicht auf der Bühne. Jedenfalls soll sein Auftritt am vergangenen Sonntag im West Germany Teil seiner allerersten Tournee überhaupt gewesen sein. Mit der er vielleicht ein wenig zu lange gewartet hat: Zumindest klang seine Stimme doch bereits arg zerrüttet. Und statt nach den aparten Skizzen, klangen seine Songs oft mehr nach Ruinen.

Dass aber auch am Rumpeln die Schönheit geschärft werden kann, weiß Howe Gelb, der seinen Wüstenrock gern aus dem Ruder laufen lässt mit einer Lust am Hakenschlagen. So wetterwendisch, dass man das wohl nur aus einer großen Gelassenheit heraus erklären muss. Was ja nicht das Schlechteste ist. Hören kann man das auf mittlerweile 28 Alben allein mit seiner Hauptband Giant Sand. Und heute Abend bei der Wassermusik im Haus der Kulturen der Welt, wo Howe Gelb mal mit einer Mambo-infizierten Giant-Sand-Ausgabe spielen wird. THOMAS MAUCH