: Winzige Virenüberträger
Bedingt durch den Klimawandel werden zunehmend auch exotische Stech- und Kriebelmücken hierzulande heimisch. Die blutsaugenden Insekten sind jedoch nicht nur lästig. Oftmals übertragen sie auch bei uns bisher seltene Krankheitserreger
VON ANJA MOLDENHAUER
Sie kommen bei Einbruch der Dämmerung, sind blutrünstig und zahlreich. Niemand mag sie und fast nichts hält sie auf. Die Rede ist von Gnitzen, kleinen Stechmücken, die gerade mal so groß sind wie ein Buchstabe in diesem Text.
Das Interesse an den blutsaugenden Insekten ist in jüngster Zeit gestiegen. Als Folge des Klimawandels verbessern sich die Lebensbedingungen für Gnitzen, Stech- und Kriebelmücken auch in unseren Breiten. Damit wächst die Gefahr, dass exotische Krankheiten, die über Mücken verbreitet werden, auch in Europa zu einem Problem werden könnten.
Laut Bernd Hoffmann, Leiter des Referenzlabors für Blauzungenkrankheit im Friedrich-Löffler-Institut, stehen eine Reihe Krankheiten, die durch Vektoren, also Stechinsekten, verbreitet werden, schon vor unserer Tür: Neben Tierkrankheiten wie der Afrikanischen Pferdepest sind es auch für Menschen gefährliche Erkrankungen, zum Beispiel das Rift-Valley-Fieber, dem letztes Jahr mehrere hundert Menschen in Ostafrika zum Opfer fielen.
Bislang war das Auftreten dieser exotischen Krankheiten nur ein denkbares Szenario, doch seit letztem Jahr hat sich mit dem Auftreten der Blauzungenkrankheit in Mitteleuropa gezeigt, dass die Ausbreitung von Krankheiten über Vektoren keine Utopie ist, sondern Gewissheit. Die Blauzungenkrankheit, auch Blue Tongue (BT) genannt, ist eine Virusinfektion und wird von Gnitzen auf Wiederkäuer, also Kühe, Schafe und Ziegen übertragen. Eigentlich dürfte es sie in unseren Breiten nicht geben, da die in Europa bisher bekannte Überträgermücke Culicoides imicola in Mitteleuropa kaum vertreten ist.
Dennoch breitete sich die anzeigepflichtige Krankheit im letzten Sommer von Holland nach Belgien, Deutschland und Frankreich aus. Innerhalb weniger Monate waren in Deutschland fast 1.000 Betriebe betroffen. Die erkrankten Tiere bekamen Fieber, geschwollene Schleimhäute und Geschwüre. Einige starben, bei vielen heilte die Krankheit folgenlos ab.
Für Menschen ist weder die Blauzungenkrankheit noch ein Produkt erkrankter Tiere gefährlich. Dennoch ist die Krankheit so etwas wie ein Prototyp für Infektionen, die als Folge von Klimawandel und globalem Handel in Deutschland auftreten können. Der bei uns gefundene Virustyp BTV-8 stammt aus Gebieten südlich der Sahara und wurde vermutlich mit dem weltweiten Viehhandel eingeschleppt. Der heiße Sommer letztes Jahr sorgte für ein ideales Klima für Virus und Überträgermücken. An der rasanten Ausbreitung zeigte sich, dass bisherige Seuchenbekämpfungsstrategien bei dieser Krankheit unwirksam sind.
Die Ausweisung von 20 Kilometer Gefährdungs- und 150 Kilometer Beobachtungszonen um jeden Erkrankungsfall konnte eine Ausbreitung nicht verhindern. Innerhalb der Zonen wurden Tiere erst nach Blutuntersuchungen und Insektizidbehandlung transportiert. Die Gnitzen waren damit nicht aufzuhalten. Mit dem Wind ließen sie sich über hunderte von Kilometern treiben, sodass nacheinander alle Bundesländer bis auf Sachsen zu Beobachtungszonen erklärt werden mussten.
Jürgen Hartmann, Geschäftsführer der Rinderunion West in Nordrhein-Westfalen (NRW), klagt, dass keine Seuchenpolitik betrieben worden sei, sondern das Geschehen lediglich verwaltet wurde. Die Ausweisung der Zonen habe nur dazu geführt, dass bisherige Abnehmerländer sich generell weigerten, Tiere aus diesen Gebieten zu kaufen, selbst wenn sie nachweislich gesund waren. „Die Tiere stecken sich nicht gegenseitig an, sondern nur durch den Stich einer infizierten Gnitze. Statt einer Zoneneinteilung sollte jedes Tier vor dem Export einzeln auf das Virus untersucht werden“, so Hartmann.
Deutlich wurde durch den Ausbruch der Blauzungenkrankheit auch ein weiteres Problem: In Deutschland gibt es nur wenige auf Stechmücken spezialisierte Fachleute. Einer dieser Entomologen ist Helge Kampen, der bereits vor fünf Jahren versucht hatte, Forschungsgelder für die Untersuchung heimischer Gnitzen zu bekommen. Sein Antrag wurde abgelehnt. „Seit die Malaria in den Fünfzigerjahren bei uns ausgerottet wurde, interessiert sich hier niemand mehr für Mücken und Gnitzen“, klagt Kampen.
Das Wissen, ob die Insekten tagsüber oder nachts stechen, sich draußen oder auch in den Ställen aufhalten, im Dung oder in Gewässern brüten, ist aber entscheidend für den Erfolg der Seuchenbekämpfung.
Während in den Nachbarländern neue Analysen zur Verbreitung und Artenvielfalt von Stechmücken vorliegen, fehlen solche Untersuchungen in Deutschland. Erst durch den BT-Ausbruch wurde im April ein flächendeckendes Mückenmonitoring gestartet. Das soll klären, welche Arten es in Deutschland gibt und welche von ihnen die Krankheit übertragen.
Fest steht schon jetzt, dass nicht nur die in den Mittelmeerstaaten lebende Gnitzenart Culicoides imicola den Blauzungenvirus weiterträgt. Die in Mitteleuropa heimischen Arten Culicoides obsoletus und C. dewulfi wurden jetzt ebenfalls als Überträger identifiziert.
Auch die Hoffnung, die Mücken würden im Winter absterben, hat sich zerschlagen. Wider Erwarten überlebten infizierte Mücken in den Ställen und sorgten auch in diesem Jahr für einen neuen Erkrankungsfall in NRW.
Kampen sieht den Ausbruch der BT als Chance, dass die Folgen des Klimawandels endlich ernst genommen und Gelder in die Stechmückenforschung investiert werden. Obwohl er einer von zwei habilitierten medizinischen Entomologen in Deutschland ist, werden Helge Kampen die Forschungsgelder nichts mehr nützen. Er arbeitet jetzt er an der Universität Yale in den USA. In Deutschland fand er keine Anstellung.