piwik no script img

Archiv-Artikel

Der Bahnhof vom Berg

Ein Trick, ein Luftballon, eine Blendrakete? Mit solchen Begriffen darf man Werner Stohler nicht kommen. Nicht nachts um 22.35 Uhr im Stuttgarter Ratskeller, wo er mit Gattin und Mitarbeitern sitzt und einen langen Arbeitstag ausklingen lässt. Jenen Freitag, an dem der Chef des Schweizer Verkehrsberatungsbüros SMA bei der Diskussion des Stresstests nicht gut ausgesehen hat. Aber jetzt, mit dem „Frieden in Stuttgart“ in der Tasche, da ist er ein besserer Mensch, und deshalb soll keiner behaupten, hier habe jemand finstere Hintergedanken gehabt

DER ONLINE-DIALOG

Kleiner Schritt Sollte sich Herr Schmiedel etwa daran erinnert haben, dass die SPD Baden-Württemberg nicht nur aus ihm und dem Superminister Nils Schmid besteht? Das wäre ja ein kleiner Schritt in die richtige Richtung zum „Oben bleiben“. Gerd_47

von Josef-Otto Freudenreich

Wir haben wirklich den Frieden im Sinn gehabt“, sagt Werner Stohler, der Chef des Schweizer Verkehrsberatungsbüros SMA, „wir mussten diese Verhärtung brechen.“ Mit wir meint er seinen Bergkumpel Heiner Geißler und mit Verhärtung das Unversöhnliche im Streit über Stuttgart 21. Dass er dazu mit seinem Gutachten, diesem sogenannten Audit, mächtig beigetragen hat, ist einer der vielen Widersprüche dieses Tages. Menschen sind nun mal wankelmütig. Und eine Botschaft, die verheißt Frieden zu stiften, ist gut für das Seelenheil und Beleg für seine Unabhängigkeit, die von den S-21-Gegnern in Zweifel gezogen wurde. Dagegen mag niemand etwas einzuwenden haben – außer einigen besonders hartleibigen Zeitgenossen.

Das ist Business. Der Berg ist Freundschaft. Und dort, in den Schweizer Alpen, erzählt Stohler, habe er sich mit Geißler in einer Hütte getroffen, um den Peaceplan auszubaldowern. Wie schön wäre es gewesen, dabei gewesen zu sein. Wenn Geißler darüber sinniert, wie der „Bankknoten“ durchzuhauen sei und Stohler an der „Premiumqualität“ zweifelt. Aber alles musste voll geheim bleiben, damit das Secret-Service-Stück wie ein Kaninchen aus dem Hut gezaubert werden konnte. Was auch gelungen ist. Bahnvorstand Volker Kefer gefror das Grinsen im Gesicht, Oberbürgermeister Wolfgang Schuster schreckte aus seiner Lethargie hoch, und CDU-Fraktionschef Peter Hauk tat, was er vom Landtag her gewohnt ist: Er erhob energisch Protest.

Vier Stunden danach freut sich Werner Stohler wie ein Schulbub darüber, dass er den Jungs einen Kaugummi auf den Stuhl geklebt hat. Ohne Vorwarnung und ohne Rücksicht darauf, wer daran kleben bleiben könnte. „Natürlich haben sie davon nichts gewusst“, sagt Stohler. Jetzt sollten sie halt mal in das Friedenspapier reingucken, bevor sie von einem „alten Hut“ sprächen. Unter dem Namen Geißler stehe schließlich der Name seiner Firma – „und wo SMA draufsteht, ist auch SMA drin“. Das mag den einen oder anderen nicht beruhigen, soll aber bedeuten, dass sich Sachverstand auf 16 Seiten versammelt hat. Als Lohn dafür, so bescheiden ist er doch, erwarte er kein Bundesverdienstkreuz. Eine Netzkarte der Deutschen Bahn würde genügen.

Raffiniertes Ausstiegsszenario für die Bahn

Das dürfte schwierig werden. Mit einem Gegenentwurf das eigene Gutachten für die Bahn zu konfrontieren und damit Geißler sagen zu lassen, seine Kombilösung sei „billiger und zweimal besser“ als S 21, das dürfte Auftraggeber Rüdiger Grube die Spendierhosen ausziehen. Es sei denn, der abgebrühte Stratege Geißler hat wieder um fünf Ecken gedacht und der Bahn ein raffiniertes Ausstiegsszenario auf den Tisch gelegt. So könnte es sich zumindest Boris Palmer vorstellen. Der Tübinger Politprofi kennt den Billardtisch, auf dem Sätze wie Kugeln umhergestoßen werden, so gut, dass ihm, wie erinnerlich, DB-Manager Kefer schon einen Job angeboten hat. Will heißen, die Denke der Bahn ist Palmer nicht fremd, und die geht seiner Ansicht nach so: Die DB will das Projekt nicht mehr, finde es inzwischen „beschissen“, suche nach Ausstiegsmöglichkeiten, sei aber von der Berliner Regierung bislang daran gehindert worden. Von Vorstand Kefer will er gar den Hilferuf vernommen haben: „Befreit uns von diesem Problem!“ Es ist ja auch nicht spaßig, sich ständig mit wild gewordenen Wutbürgern herumschlagen zu müssen. Warum also nicht dem Geißler’schen Kompromiss zuneigen?

Und wie passt das mit den Vergaben zusammen, die Kefer („Wir werden natürlich weiterbauen“) flugs angekündigt hat? Das gehöre zur üblichen Drohkulisse, meint Palmer ganz cool, damit sei noch kein Meter Tunnel gebohrt. Entgegen den öffentlichen Ansagen höre er, dass die Bahn die Kombivariante sehr genau prüfen wolle. Schließlich bekomme der Konzern damit eine „Superlösung“, die deutlich billiger sei als S 21 und technisch überlegen. Wenn er die Wahl hätte, betont der grüne Verkehrsexperte, würde er für Doktor Geißler plädieren.

Nun wird darüber nicht der Tübinger Oberbürgermeister entscheiden. Das geschieht andernorts, wo sich politische und wirtschaftliche Dinge vermengen. Zum Beispiel im Berliner Kanzleramt. Auch dort werden neue Töne angeschlagen. Vor ihrem Abschied in den Urlaub ließ Angela Merkel wissen, man müsse mit einem „gewissen Fingerspitzengefühl“ überlegen, wie eine Akzeptanz für solche Großprojekte erreicht werden könne. Dazu bedürfe es eines geeigneten Verfahrens, mittels dessen die Betroffenen einbezogen werden könnten. Das hörte sich im vorigen Herbst noch ganz anders an, als die Kanzlerin die oberste S-21-Kämpferin gab wegen der Zukunftsfähigkeit Deutschlands, die eine Befragung der Stuttgarter Bürger zur überflüssigen Kategorie machte.

Ein Wörtchen mitzureden hat auch die baden-württembergische Landesregierung, deren grüner Teil sehr vorsichtig und zurückhaltend ist. „Interessant“ sei der Vorschlag, gibt Ministerpräsident Winfried Kretschmann zu Protokoll. Mehr nicht. Eine politische Bewertung lehnt die Staatskanzlei ab, das übernimmt der Sprecher von Verkehrsminister Winfried Hermann, der sich wiederum an Geißler hält. Der bitte doch alle Beteiligten, sich um eine Friedenslösung zu bemühen, um die Gräben nicht noch tiefer werden zu lassen. Man erinnert sich: Der 81-Jährige hatte sogar vor einem „totalen Krieg“ gewarnt. Ergo sei es notwendig, erläutert Hermanns Pressemann, die Geißler’schen Gedanken „ernsthaft“ zu prüfen, was freilich noch eine Woche dauere.

Und siehe da, selbst der rote Teil der Koalition, die SPD-Spitze, bewegt sich. Wie fix das gehen kann, beweist Claus Schmiedel, der Fraktionschef und S-21-Fan. In der neuesten Ausgabe der Wirtschaftswoche antwortet er auf die Frage, ob er nicht mit einer Radikalisierung rechnen müsse, wenn das Projekt auf legalem Weg nicht mehr zu stoppen sei: „Ein paar Spinner sind immer unterwegs. Aber wichtige Meinungsführer und Organisationen wie der BUND wollen das Ergebnis der Volksabstimmung akzeptieren. Wenn die sich zurückziehen, bleibt nicht viel Protestpotenzial übrig.“

Der gewendete Schmiedel: Ausstieg sei möglich

Nach der Präsentation des Geißler-Papiers zeigt sich ein gewendeter Schmiedel. Die Aufträge der Bahn seien im Herbst noch nicht ausgeführt, betont er. Ein Ausstieg aus dem Projekt S 21, das für ihn und seine Spitzengenossen unumkehrbar war, sei möglich. Ebenso ein Umstieg auf das Geißler-Modell. Womöglich hat Schmiedel schon in dessen Einleitung geschaut, in welcher der Schlichter schreibt, Bau- und Vergabemaßnahmen mit präjudizierendem und irreversiblem Charakter vor dem Votum des Volkes wären „psychologisch verheerend“ und würden „unkalkulierbare Reaktionen“ provozieren. Da hat der Sozialdemokrat wohl auch an seine eigene gespaltene Partei gedacht.

Ganz gelassen verhalten sich jene, die Schmiedel als „Spinner“ identifiziert hat. Es sind die Widerständler im Aktionsbündnis, die in Sprecher Hannes Rockenbauch eine Figur gefunden haben, die für interessierte Kreise wohl zum Bürgerschreck taugt. Und was sagt der Rotschopf? Dass er den Vorschlag von Geißler begrüße, weil der Alte erstmals seine Rolle als Schlichter angenommen habe. Er habe kapiert, dass Stuttgart 21 „nicht mit Wasserwerfern“ durchzusetzen und der Mythos des bestgeplanten Bauprojekts Europas perdu sei. Deshalb kein S 21 plus mehr, sondern die Kombilösung, die für Rockenbauch „Sinn macht“, wenn sie mit einem Baustopp verbunden sei. Jetzt sei das Spiel wieder offen und Zeit zum Nachdenken vorhanden, sagt der SÖS-Stadtrat, dem nicht ernsthaft zu widersprechen ist, wenn er glaubt, dass die Geißler’sche Wende nur auf ihren Druck zustandegekommen sei. Und der wird, auch wenn die Schmiedels dieser Stadt anderer Meinung sind, erhalten bleiben.