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Archiv-Artikel

Unsere kleine Farm

ORF Wer auf dem Küniglberg das Sagen hat, den hört ganz Österreich. Der ORF ist ein Machtfaktor, den die Parteien schamlos instrumentalisieren. Am Dienstag wählt der Sender einen neuen Chef – den alten. Es gibt keine Alternative

Auch deutsche Sender unter politischem Druck

■ ZDF: Im Februar 2009 erklärte der stellvertretende Vorsitzende des ZDF-Verwaltungsrats Roland Koch (CDU) im FAZ-Interview öffentlich, den Vertrag von Chefredakteur Nikolaus Brender nicht verlängern zu wollen. Führende ZDF-Journalisten protestierten in einem offenen Brief gegen die „gefährliche Einmischung der politischen Parteien in die Souveränität“ des öffentlich-rechtlichen Rundfunks – letztlich erfolglos.

■ Deutschlandfunk: Ende Juli wurde bekannt, dass Intendant Willi Steul nach Widerstand des Verwaltungsrats darauf verzichtet hat, einen neuen Programmdirektor vorzuschlagen. Auf der Liste genehmer Kandidaten, die man Steul zukommen ließ, fand sich auch Andreas-Peter Weber, der den Job bekam. Treibende Kraft dahinter: die Mainzer Staatskanzlei, die sich in der Causa Brender um die Staatsferne des ZDF sorgte.

AUS WIEN DAVID DENK

Das Pfeifen kann Alexander Wrabetz egal sein. Wahrscheinlich hört er es gar nicht mehr. Der Wind, der heftig um sein Büro im sechsten Stock der ORF-Zentrale auf dem Küniglberg streift, ist genauso bedeutungslos wie das Murren auf den Fluren oder die Miesmacherei der Zeitungen und Magazine. Ein Hintergrundrauschen, mehr nicht. Hier oben pustet den „GD“, wie der Generaldirektor intern genannt wird, so schnell keiner mehr runter. Es muss sich gut anfühlen, in diesen Tagen Alexander Wrabetz zu sein. Tauschen will trotzdem keiner mit ihm.

Der Küniglberg, ein Dorf über der Stadt auf knapp acht Hektar, mit eigenem Supermarkt und autarker Notstromversorgung, könnte eine Bastion journalistischer Unabhängigkeit sein – nur steht der Sender nicht über den Dingen wie sein 70er-Jahre-Sendezentrum. Der ORF ist Spielball parteipolitischer Interessen, war das schon immer, begünstigt durch den Umstand, dass Österreich seit dem Zweiten Weltkrieg fast durchgängig von einer großen Koalition regiert wird. Mal stellt die konservative ÖVP den Bundeskanzler, mal – wie derzeit – die SPÖ, aber immer wird der ORF politisch vereinnahmt.

Wer im ORF den Ton angibt, den hört ganz Österreich. Auch wenn die Werte schon besser waren: Der ORF ist überlegener Marktführer in Radio, Fernsehen und Internet – ein Machtfaktor. „Man muss sich damit abfinden, dass Politiker medienpolitische Kontrolle mit parteipolitischer Kontrolle verwechseln“, sagt Redakteurssprecher Dieter Bornemann. „Die Generalvermutung, bei uns wäre alles durchpolitisiert, ist falsch“, hält Wrabetz beim Interview in seinem 40-Quadratmeter-Büro dagegen.

Was soll er auch sagen?

Am kommenden Dienstag wird der 51-Jährige für weitere fünf Jahre zum ORF-Generaldirektor gewählt werden. Die Abstimmung hat er im vergangenen Jahr schon mal geprobt – mit der erfolgreichen Abwahl des aufsässigen Informationsdirektors Elmar Oberhauser. „Ich hoffe schon, dass die Mehrheit diesmal noch ein bisschen breiter ausfällt“, sagt SPÖ-Mitglied Wrabetz, der sich jüngst auch um ÖVP-Stimmen bemüht hat. Siegessicher, wie er ist, hat er sich in der Ankündigung seiner Kandidatur in einem Atemzug mit Barack Obama genannt. Nur ein Scherz, sagt er.

Auf den ersten Blick hätte Wrabetz Gründe abzuheben, ist seine zweite Amtszeit doch eine doppelte Sensation: Erstens wurde vor ihm nur ORF-Legende Gerd Bacher im Amt bestätigt, zweitens galt Wrabetz schon mal als erledigt, als „lebende Leiche“, wie er amüsiert anmerkt. 2009? War da was? Wrabetz erzählt vom Rat eines Freundes, sein Geld mit „Corporate Survival“-Seminaren zu verdienen. Es klingt, als könnte ihm das gefallen.

„Wenn ich angegriffen werde, werde ich zur ‚Kampfmaschine‘, obwohl ich so ein sehr umgänglicher Typ bin“, sagt Wrabetz. Bei genauerer Betrachtung ist das die größte Leistung seiner ersten Amtszeit: Er hat sie überlebt. Im Gegensatz zu vier von sechs Mitgliedern der Geschäftsführung und engen Vertrauten. „Eine Anhäufung von Abgängen“ erkennt auch Wrabetz, „aber ich würde da jetzt keine Besonderheit draus machen“, da sie „großteils aus Krankheitsgründen“ nötig geworden seien. Fällt die Abhöraffäre seines Kommunikationschefs, der Zwist mit Oberhauser und die Personalrochade, der die Finanzchefin weichen musste, für Wrabetz auch darunter?

Auch wenn er selbst diesen Effekt herunterspielt, hat Wrabetz doch erst die Absage von RTL-Group-Chef Gerhard Zeiler zum haushohen Favoriten gemacht. Gegenkandidaten gibt es trotzdem, die sechs haben aber nicht mal Außenseiterchancen. Sozialdemokrat Zeiler war von der ÖVP ins Spiel gebracht worden, um sich bei der SPÖ von Bundeskanzler Werner Faymann für die Abwahl von Wrabetz’ Vorgängerin zu rächen. Er musste aber feststellen, dass sich seine Partei schon auf Wrabetz festgelegt hatte, den sie vor zwei Jahren noch loswerden wollte. Heute wie damals fand sich kein zugänglicher Nachfolger. Wrabetz blieb im Amt. Er nahm die Verschlankung des gewaltigen Apparats aus besseren Tagen in Angriff und zeigte sich – nun ja – erkenntlich. Wrabetz machte Richard Grasl zum kaufmännischen Direktor, der als Chefredakteur des Landesstudios Niederösterreich zuvor vor allem dadurch aufgefallen war, dass er seinen ÖVP-Landeshauptmann fast so oft ins Bild rückte wie das Logo des Österreichischen Rundfunks.

Zeiler, der von 1994 bis 1998 schon mal den ORF führte, wird wegen seiner Karriere in der Fremde in seiner Heimat verehrt wie sonst nur Arnold Schwarzenegger. Anfang Juni implodierten die messianischen Heilserwartungen jedoch auf einen Schlag. Schon nach wenigen Gesprächen habe er erkannt, sagte Zeiler im Interview mit dem Nachrichtenmagazin Profil, dass es „wesentlichen Teilen der Politik nicht darum geht, wer das Unternehmen am besten führen kann, sondern wer willfährig parteipolitische Personalwünsche umsetzt“. Früher habe das Interesse der Parteien nur bis zur Direktionsebene gereicht „und nicht noch zwei Ebenen weiter nach unten“.

Wrabetz kennt es nicht anders. Als er 1998 als kaufmännischer Direktor zum ORF kam, war der Sender so fest im Würgegriff der regierenden ÖVP, dass er kaum noch atmen konnte. Zugeben würde Wrabetz, dieser homo ORFicus, Einflüsterungen aber nie. Und tut es dann doch, irgendwie. „Ich habe nie mit der Politik über Personal verhandelt“, sagt er. „Man informiert, das ja, für wichtige Personalentscheidungen braucht man die Mehrheit der Stiftungsräte hinter sich. Und die haben zum Teil auch was mit der Politik zu tun.“ Ein Euphemismus, nur vier von 35 Mitgliedern sind parteiunabhängig.

Die Enttäuschung über Gerhard Zeilers Rückzieher wog auch deswegen so schwer, weil man ihm die Visionen zutraut, die dem als „Super Alex“ gestarteten Wrabetz abgehen, der 2007 gleich die „größte TV-Programmreform aller Zeiten“ versenkte: Wrabetz sei „sicher ein guter Kaufmann, aber eben kein Journalist“, sagt Redakteurssprecher und Wirtschaftsjournalist Bornemann. An Wrabetz’ Qualitäten als Programmmacher scheiden sich die Geister. Ganz anders TV-Maniac Zeiler: Es heißt, er kenne jedes einzelne Format der 45 Sender der RTL Group, Europas größtem Privatfernsehkonzern.

„Politiker verwechseln medienpolitische Kontrolle mit parteipolitischer Kontrolle“

ORF-REDAKTEUR DIETER BORNEMANN

Die ORF-Generaldirektorenwahlen 2011 fallen in die Zeit einer historischen Krise der Sendergruppe. Dabei geht es um Selbstbehauptung: gegen die Politik, gegen stärker werdende Privatsender und gegen die rückläufigen Sendereinnahmen. Und so widmet sich Wrabetz’ Wahlprogramm „ORF als Leitmedium“ vorrangig der Finanzierbarkeit öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Kurz umrissen fordert er darin mehr Geld: eine Rundfunkgebührenerhöhung, die Entfristung der Alimentierung durch den Steuerzahler per Gebührenrefundierung und eine Erweiterung der ohnehin schon umfangreichen Werbemöglichkeiten. „Wirtschaftliche Unabhängigkeit ist die Basis für programmliche Unabhängigkeit“, sagt Wrabetz. Und die verlangen ja schließlich alle immer von ihm. Soll sich also niemand beschweren, dass es die nicht umsonst gibt. Im Gegenzug verspricht Wrabetz eine „Programmoffensive“, inklusive Medienmagazin. Themen bietet ja allein der ORF schon reichlich.

Zum Beispiel, wie die Politik das Personal diktiert. Nach Wrabetz’ Wiederwahl könnte Betriebsrat Michael Götzhaber für seine Stimme Technikdirektor werden und SP-Freundeskreischef Niko Pelinka ORF-Generalsekretär. Rechtlich ist der direkte Wechsel vom Kontrollorgan Stiftungsrat in die Geschäftsführung zulässig, moralisch ist er zumindest fragwürdig.

„Hier wird trotzdem ordentlicher Journalismus gemacht“, verteidigt Redakteurssprecher Bornemann seinen Arbeitgeber – wenn auch unter immer widrigeren Bedingungen: Die Personaldecke in seiner Redaktion, bei den Hauptnachrichten „Zeit im Bild“ (ZiB), werde immer dünner, es fehle an jungen Kollegen und Planungssicherheit wegen der vielen befristeten Arbeitsverhältnisse. Aber: „Dass SPÖ und ÖVP den ORF unter sich aufteilen, heißt nicht, dass sich das in der Berichterstattung niederschlägt.“

Immer noch auf sein Dankeschön wartet der frühere Stiftungsrat Walter Meischberger, der für den ORF eine Social-Media-Plattform und eine TV-Sendung entwickelt haben will. Wrabetz bestreitet das. In einer Mail an ihn schreibt Meischberger 2007: „Damit ist es bereits ein Jahr her, dass ich meinen Teil unserer Vereinbarung eingehalten habe …“ – unter anderem Meischbergers Stimme hat Wrabetz seine Wahl zum Generaldirektor 2006 zu verdanken.

Es ist nur eine kleine Geschichte aus Alexander Wrabetz’ erster Amtszeit, aber eine, die ORF-Kritikern Mut macht. „Ich bin mir nicht sicher, ob er nach dieser Wahl alle seine Versprechen hält“, sagt einer, „und das könnte man ihm zugute halten.“ Der Name von Meischbergers Social-Media-Projekt klingt wie eine Diagnose: „D.ORF“.