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Archiv-Artikel

Jugend schnupft

PULVER In Nichtraucherzeiten wird eine alte Tradition für junge Leute wieder interessant. Schmalzler, sagen die Bayern. Und meinen einen speziellen Tabak

Schmalzler

■ Der Stoff: Mit dem Dreißigjährigen Krieg verbreitete sich das einstige Genussmittel der Adeligen, der Schnupftabak, in ganz Europa. Um 1900 zählte man in Bayern an die fünfzig Produzenten.

■ Die Hersteller: Die Rezepturen sind Firmengeheimnisse, bis zu zwanzig Rohtabaksorten finden sich in einer Prise. Die Mischung bestimmt den Geschmack – ähnlich wie die Rebsorten beim Wein.

■ Die Szene: Laut Deutschem Schnupfverband gibt es 4.000 Schnupfclubs.

VON TOBIAS FELD

Es ist vielleicht gar kein Zufall, dass diese Band namens „Zwei Tage ohne Schnupftabak“ gerade jetzt immer bekannter wird. Sie stammt aus dem oberpfälzischen Regensburg und es gibt sie schon seit einigen Jahren. Aber in jüngster Zeit werden die Rocker auch mal im Radio gespielt. Es geht aufwärts. Ähnlich wie mit dem Schnupftabak aus ihrem Bandnamen.

Das mag damit zusammenhängen, dass den Deutschen die Lust am Rauchen vergeht. Laut Statistischem Bundesamt hat sich der tägliche Zigarettenkonsum im vergangenen Jahrzehnt fast halbiert. In Bayern, dem Bundesland mit seinem strengen Nichtraucherschutz, gelten Gaststätten mittlerweile als rauchfrei. Wo der Rauch weicht, tun sich alternative Nikotinquellen auf.

„Wir erleben einen nie gekannten Mitgliederzuwachs“, sagt Alfons Lechler. Er ist 69 und der Präsident des Deutschen Schnupfverbands. Ob bei der Kür zum „Eussenhäuser Schnupferkönig“ oder beim Wettschnupfen zur Deutschen Meisterschaft, die Leute werden jünger und weiblicher, beobachtet Lechler. Mehr als 150.000 Kilo Tabak werden laut den Herstellern jedes Jahr in Deutschland verkauft.

Trendgemäß hat die Band „Zwei Tage ohne Schnupftabak“ ihrem neuen Album ein Schnäuztuch aus Stoff beigelegt. Es eigne sich besonders für die Nachbereitung des Schnupftabak-Konsums, sagt der Sänger Chris Gollub. Er schnupft selbst. Mitglied des örtlichen Schnupfvereins ist er bisher nicht.

Das Schnupfen ist längst nicht mehr nur eine Sache graumelierter Gamsbartträger, wie die „Bayern-Blogger“ feststellen. Die Branche vermeldet seit einem Jahrzehnt erstmals wieder moderates Wachstum. Sorten wie „Original Schmalzlerfranzl Brasil“, „Leinauer Fegefeuer“ oder „Gletscherprise“ stecken wieder häufiger in der Hose – oder in der Handtasche.

Nicht allein die Firma Alois Pöschl, weltweit agierender Schnupftabakfabrikant aus dem niederbayerischen Landshut, erklärt derzeit in einer Werbekampagne mit jungen Models das nikotinhaltige Pulver zum Lifestyle-Produkt. Auch der Versandkatalog von „Manufactum“, diese Bibel der neuen Bürgerlichkeit, führt nunmehr edelstes – allerdings nikotinfreies – Schnupfpulver.

Wer das Schnupfen selbst probieren möchte, sollte darauf achten, dass der Schnupftabak nicht in den Rachen gelangt. Das schmeckt unangenehm. Neben dem Nikotin kommt es auf die Aromen an. Damit sich diese Aromen nach und nach voll in der Nase entfalten können, reift der Tabak bis zu zwei Jahre. Verwendet werden meist kräftige Rohtabaksorten. Sie heißen Badischer Geudertheimer, Burley oder Kentucky.

Orange als Aroma

Der Kern der Schnupferszene ist nach wie vor zutiefst bayerisch und damit ländlich geprägt, mit Stammtischen, Meisterschaften oder Schnupftabakmanufakturen. Hier entwickelte sich im 19. Jahrhundert eine Industrie, die dem Land ansehnlichen Wohlstand brachte und das bayerische Lebensgefühl prägte. Vor allem die Region um Landshut gilt mit ihren einst mehr als zwanzig Schnupftabakfabriken als Wiege der bayerischen Schnupftabakkultur. Übrig ist heute nur die Firma Alois Pöschl, die 1902 vom gleichnamigen Schnupftabakvertreter gegründet wurde. Jede zweite Schnupftabakdose weltweit, behauptet das Unternehmen, sei aus eigener Herstellung. Hierzulande ist vor allem der bayerische Schmalzler ein Schlager. Dieser dunkle, milde, aus Brasiltabaken gemahlene Stoff wird mit Paraffinöl angefettet, um Aromastoffe wie Orange oder Feige besser zur Entfaltung zu bringen. Früher wurde noch Butterschmalz untergemengt.

Das Schnupfen beschränkt sich nicht nur auf die bayerische Szene. Soziale Netzwerke sind voller Beiträge aus der ganzen Republik, die die vormoderne Herstellung oder die Handhabe des Schnupftabaks erörtern. Auch in Düsseldorf, Berlin oder Bochum gründen Enthusiasten wieder Schnupfclubs und kultivieren rauchfreien Tabakgenuss als entspanntere und günstigere Alternative zur Zigarette.

Zuerst sei das Schnupfen für ihn nur eine Verlegenheitslösung wegen der steigenden Zigarettenpreise gewesen, sagt Tobias Jung. Der Bochumer trifft sich regelmäßig mit anderen Schnupfern und schreibt über den Nasentabak in einem Blog. „Mittlerweile rauche ich nicht nur weniger“, stellt Jung fest, „sondern das Schnupfen bereitet mir auch echten Genuss und viel Freude.“

Ist das gesünder?

Ist das Schnupfen nicht nur billiger als das Rauchen, sondern auch gesünder? In Schweden, das bereits 2005 einen umfassenden Nichtraucherschutz auf den Weg brachte, ist eine ganz ähnliche Diskussion aufgekommen. Dort geriet unter jungen Männern Lutschtabak wieder sehr in Mode, den sie unter die Lippe schieben. Soll man diesen Snus nun als Entwöhnungsmittel wider die Zigarette empfehlen?

Forscher und Mediziner diskutieren das beim Schnupftabak seit längerem. So warnt das Deutsche Krebsforschungszentrum in Heidelberg vor krebserregenden Substanzen auch im rauchlosen Tabak. Doch so suchtbringend Nikotin ist, die Weltgesundheitsorganisation sieht bislang keine belastbaren Beweise für ein erhöhtes Krebsrisiko durch den Schnupftabakkonsum. Obschon nicht unschädlich, halten so immer mehr Mediziner den Schnupftabak für eine gesündere Alternative zur Zigarette.

Um die Traditionspflege kümmert sich derweil Alfons Lechler. „Allzeit gut Schnupf!“, riefen die Nasenwettkämpfer, als ihr Präsident Ende Juni zur Deutschen Schnupfmeisterschaft ins fränkische Kucha geladen hatte. In einer Minute mussten die Kontrahenten dort fünf Gramm des Pulvers aus der Dose mit einem einzigen Finger in die Nase stopfen. Wer nieste, schied aus.

228 Teilnehmer hatten sich im Vorfeld qualifiziert – ein neuer Rekord. Der Wettkampf geriet in den vergangen Jahren zudem zum Treffpunkt der internationalen Schnupferelite. Zwar finden weibliche Teilnehmer die obligatorischen dunkelbraunen Tabakränder um die Nase nicht sonderlich attraktiv. Doch auch sie hat längst der Ehrgeiz gepackt. Bei den Damen triumphierte am Ende die 28 Jahre alte Petra Leinfelder.

„Das Rauchverbot“, sagt Alfons Lechler, „war für uns unterm Strich schon ein Segen.“