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Archiv-Artikel

Letzter Vorhang, großer Vorgang

Mit einer fulminanten Bühnenshow und kulturpolitischen Attacken verabschiedet sich Klaus Pierwoß als Intendant des Bremer Theaters. Eine letzte Manifestation des Mottos „Qualität kommt von Qual“

von Henning Bleyl

Klaus Pierwoß sieht seine künstlerische Zukunft im Aufbau eines madegassischen Nationaltheaters. Soll also niemand sagen, eine Abschieds- Gala wie die, mit der sich der Generalintendant des Goetheplatz-Theaters jetzt verabschiedete, hätte keinen nachrichtlichen Wert. Der Kern der Meldung besteht darin, dass Bremens ehemaliger Innen-, Sport- und Kultursenator Kuno Böse in Kürze eine Stelle als politischer Berater des Präsidenten der Inselrepublik antritt.

Der Christdemokrat Böse, dem Pierwoß das Angebot zur Mitarbeit unterbreitete, gehört zu den Guten – eine Klassifizierung, die der scheidende Intendant vor ausverkauften Rängen für jeden einzelnen seiner insgesamt neun KultursenatorInnen vornahm. Pierwoß bringt sein Urteil mit einer großformatigen Collage auf den Punkt: Außer Helga Trüpel, Jens Böhrnsen und eben Böse sind sämtliche Dienstherren mit einer Zipfelmütze geziert: „Wenn die Sonne der Kultur am tiefsten steht, werfen selbst die Zwerge Schatten“.

Zu den Guten gehört für Pierwoß auch der SPD-Bundestagsabgeordnete Volker Kröning. Der hat nicht nur dafür gesorgt, dass das Theater den monströsen Bunker „Valentin“ bespielen konnte, er ist auch Initiator der Bundesverdienstkreuz-am-Bande-Verleihung, mit der Pierwoß kürzlich geehrt wurde.

Pierwoß geht als in vielerlei Hinsicht atypischer Intendant in die Theatergeschichte ein. Und: Noch nie hat ein Bremer Intendant seinen Abschied selbst so aufwändig und intensiv inszeniert. Erst eine furiose Final-Spielzeit, die neben einer beachtlichen Premierenqualität auch mit Wiederaufnahmen aus 13 Spielzeiten beeindruckte. Dann ein 475-seitiges Buch, jetzt die Good bye-Show. Neben dem deutschen Intendanten-Adel begrüßt Pierwoß auch den Kapitän der Hansekogge, mit dem er die Bremer Bewerbung als „Kulturhauptstadt“ nach Berlin verfrachtete, und seinen langjährigen Sitznachbarn im Weserstadion – Pierwoß ist ein bemerkenswert vernetzter Theatermann.

Beim letzten Bremer Auftritt wirkt Pierwoß gelassen. Für seinen – nicht anwesenden – Nachfolger hat er nichtsdestotrotz einige Spitzen parat: Hans-Joachim Frey wolle das große Haus ja zum „Ort der bürgerlichen Begegnung“ machen – in der Tat steuert Frey nicht nur verbal, sondern auch mit einer Smoking-orientierten Bildsprache ein betuchtes Publikum an –, da habe er sich seinen Schädel eben in einen Zylinder gezwängt. Den schleudert Pierwoß gleich drauf ins Publikum. Und das künftige Zusammengehen der Tanzsparte mit den Oldenburger KollegInnen? „Ich hätte das nicht unterschrieben“, betont Pierwoß.

Zum Abschied lässt er noch einmal die künstlerischen Muskeln spielen: Das Musiktheater zeigt einen Ausschnitt seiner grandiosen Offenbach-Inszenierung „Hoffmanns Erzählungen“, die SchauspielerInnen sind mit „Familienschlager“ dabei und tänzerisch gibt‘s eine Weltpremiere: Reinhild Hoffmann und Susanne Linke, die großen Damen der Bremer Tanzgeschichte, vereinigen sich zum Duett.

Auch das Moks, die Kinder- und Jugendsparte, darf auf die ganze große Bühne – die die vier AkteurInnen mit einem Ausschnitt ihres Sintflut-Stückes „An der Arche um acht“ mühelos füllen. An diesem Abend ist die stete Rede vom Viersparten-Haus mit Leben gefüllt, im großen Buch Pierwoß wird das Moks mit der Beschränkung auf ziemlich genau ein Prozent der Seitenmasse hingegen marginalisiert. Kann es dann verwundern, wenn die örtliche Fastmonopol-Zeitung das Haus auf seiner Theater-Themenseite de facto zum Dreisparter erklärt? Überhaupt: Der „Weser Kurier“: Während der großen Finanzkrise machte er Pierwoß das Leben durch wiederholte Falschmeldungen mehr als schwer, zum Abschied ist er mit einem Sonderdruck präsent.

Allerdings erweist auch der Intendant, der das Moks durchaus unterstützt hat, dessen ProtagonisInnen einen zweifelhaften letzten Dienst: Deren Etat sei mit 2,2 Millionen Euro lächerlich klein, sagt Pierwoß – womit er das vorhandene Geld en passant verzehnfacht. Natürlich wird bei einer solchen Veranstaltung allerhand Unsinn geredet: 13 Jahre Pierwoß, sagt Moderator Otmar Willi Weber, das sei „immer absolut unterhaltsames Theater“ gewesen – nicht nur Thomas Bischof hat sich da der Regiestuhl unterm Hintern gedreht.

Wie steht‘s mit selbstreflexiven Tönen? In seinen zahlreichen Abschieds-Interviews hat Pierwoß lieber ausgeteilt. Jetzt kommt er auf seine Doktrin der „entfesselten Produktivität“ zu sprechen – in der Praxis bedeutete das zum Beispiel die wiederholte Verlängerung der „Letzten Tage“ im feuchten Bunker, die einen ungeheuren Energieaufwand mit sich brachte. Er habe den MitarbeiterInnen immer viel zugemutet, räumt Pierwoß, erklärter Anhänger einer theaterinternern Monarchie, ein. Unvergessen ist in der Tat, wie er an sämtliche Türen die Felix Magath-Parole „Qualität kommt von Qual“ kleben ließ. Immerhin: Auch erstere stellt sich ein.