die taz vor zehn jahren über homosexualität und verbrechen: der versace-mord und das „milieu“
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Jüngstes Beispiel: Der Tod des italienischen Modedesigners Gianni Versace. Vier Stunden nach seiner Ermordung in Miami Beach gehen die ZDF-Nachrichten „heute“ auf Sendung, Dabei kann Klaus-Peter Siegloch aus den USA nicht mehr reportieren, als er schon in seinem Beitrag erzählt hat. Bis auf eine entscheidende Frage: „Weiß man mehr über die Hintergründe der Bluttat?“. „Zuverlässiges kann man noch nicht sagen“, antwortet Siegloch und fährt unbeirrt fort: „Man sollte aber eines wissen: South Beach Miami hat eine blühende Homosexuellen-Szene. Und in dieser Szene hat Gianni Versace viele Freunde gehabt.“

Was will uns Herr Siegloch damit sagen? Daß der Modemacher schwul war? Daß die „Homosexuellen-Szene“ immer auch gut ist für ein Verbrechen? Da parliert der Reporter mit seriösem Augenaufschlag von solch netten Dingen wie „blühender Szene“ und „vielen Freunden“ und will doch nur suggerieren, daß man für die Aufklärung der Tat doch bitte schön genau diese Szenerie unter die Lupe nehmen sollte.

Im Laufe des Abends verdichtet sich die Sieglochsche Fährte, auch die ARD spricht vom „Mekka der Homosexuellen“ und vom „sprudelnden Leben der Homosexuellengemeinschaft“ in Miami Beach. Als dann tatsächlich ein angeblicher Stricher zum Hauptverdächtigen wird, gibt es in den Nachrichten kein Halten mehr. Der Verweis auf „das Milieu“ fehlt in keiner Sendung, bei keiner Agentur.

Noch einmal die Frage: Was sagt uns das? Sind alle Schwulen potentielle Täter? Oder potentielle Opfer? Und welche Vorstellungen vom „Milieu“ verbergen sich hinter der bedrohlichen Rede darüber? Die ganze schwule Bande eine kriminelle Vereinigung? Eine geschlossene Gesellschaft mit mafiaähnlichen Strukturen? Man kommt überhaupt nicht auf soviel Dreck, der in den Köpfen der Leute herumschwirrt, sobald sie das Wörtchen „homosexuell“ hören.

Elmar Kraushaar in der taz vom 17. 7. 1997