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Archiv-Artikel

Glamour verbaut

Ein hübscher Arsch macht noch keine Modestadt: Die erste Fashion Week Berlin wollte durch das Brandenburger Tor ziehen und baute erst mal alles mit Containern zu. Die Weltstadt übt noch

Vivienne Westwoods märchenhaft schöne Show rettete den zweiten Showtag

VON ANNABELLE HIRSCH

Die wilde Stadt mit ihrer wilden Mode will nun erwachsen werden! Das bisher gültige Image des exzentrischen Individualisten mag eine gute Startposition abgeben, doch jetzt will Berlin mehr: als zweiter europäischer Modestandort neben der „London Fashion Fridge“ die Fashionwelt erobern. Das von Bürgermeister Wowereit groß angekündigte Projekt, „internationale Marken, die den Reiz der Stadt reflektieren, mit lokalen aufstrebenden Designern zu verbinden“, klang vielversprechend. Im Grunde verhielt es sich mit diesem ehrgeizigen Vorhaben aber ähnlich wie mit dem in Berlin platzierten europäischen Ableger des amerikanischen Kultmagazins Vanity Fair: zu hochgestochene Ziele für das abschließend eher mittelmäßige Resultat.

Am Donnerstagabend eröffnete das deutsche Label Hugo Boss mit seiner jungen Zweitlinie Hugo die erste Fashion Week Berlin, organisiert von Mercedes Benz und IMG, internationalen Spezialisten für Fashion-Events. Mit streng nach hinten geglätteten Haaren im Wetlook schwebten die Models zur Elektro-Version des Soft-Cell-Hits „Tainted Love“ in Römersandalen über den Catwalk am Brandenburger Tor. Die professionell vollendete Show urbaner Eleganz konnte überzeugen, aber kaum berauschen. Die prominente Kulisse des Brandenburger Tores, mit der zuvor eifrig geworben worden war, wurde durch eine zweigeschossige Containeranlage vollkommen verdeckt. Jeder Hauch von Großzügigkeit blieb auf den eng ansteigenden Treppenplätzen auf der Strecke.

Den Übergang von High Fashion zu junger Mode bestritt die deutsche Designerin Zerlina von dem Bussche mit ihrem Label Sisi Wasabi am Freitagmorgen mit Bravour. Ihre Kollektion zeichnet sich durch schlichte Formen und Farben aus, spielerisch verziert mit opulenten Trachtenelementen. Besonderen Applaus erntete ein rotes, rückenfreies Seidenkleid, das einen perfekten Bogen zum abschließenden roten Seidenkleid der Boss-Show spannte. Umso erschreckender gestaltete sich aber dann der weitere Verlauf des Vormittags: Mit Prototype Schumacher degradierte die Designerin Sigrid Schumacher die Fashion-Show zu einem schlechten Baywatch-Verschnitt. Die Zuschauer, die eher „Modetouristen“ als Fachpublikum zu sein schienen, ließen den internationalen Glamoureffekt an diesem Morgen endgültig auf den Nullpunkt sinken.

Zur Rettung dieses zweiten Showtages war zumindest im Abendprogramm eine internationale Größe angekündigt: Während sie mit ihrer Hauptlinie auf den Showen in Paris und Mailand lief, präsentierte Vivienne Westwood, die englische Königin Mutter des Punkdesigns, dem gespannten Berliner Publikum ihre Zweitlinie Anglomania. Zu rhythmischer Ethnomusik liefen die Models mit ansteckendem Spaß und in Karohosen gemischt mit indianischen Mustern, in Volumenröcken mit riesigen Polkadots und wippenden Reifröcken über die Bühne. So schön die märchenhafte Show auch war, Westwood selbst, immerhin die einzige teilnehmende Designerin von Weltrang, kam nicht.

Wenigstens der vorletzte Tag stillte den Hunger nach Weltstars: Der in ihrer Performance herausragende Premiere des Labels Rudolf Dassler by Puma sahen – neben Dauergästen der B-Prominenz wie Verona Pooth und die No Angels – die von den hübschen Männerpos sichtlich amüsierte Andie MacDowell und Topmodel Franziska Knuppe zu. Dassler ließ seine Models im Streetstyle mitten durch die live performende Band Van She stolzieren, allen voran das Gesicht von Chanel, Irina Lazareanu. Auch das Label Michalsky des ehemaligen Adidas-Designers Michael Michalsky hob diesen letzten Showtag doch noch auf ein ernst zu nehmendes Niveau und feierte das im Anschluss mit dem legendären Elektro-DJ „DJ Hell“ im Nobelrestaurant Grill Royal.

Etwas abseits von dem forcierten Hype des offiziellen Schauplatzes bewies die Berliner Avantgardemesse Ideal mit ihrer Show unter einem verglasten Scheunendach an der Prenzlauer Allee erstaunliche Professionalität und Innovation, die auch prompt mit dem überraschenden Besuch einiger Vertreter der Mailänder Mode-PR-Agentur Carla Otto belohnt wurde.

Auch wenn der Veranstalter IMG nun vorsorglich vernehmen lässt, dass diese viertägige „Woche“ trotz Lücken sehr positiv zu bewerten ist, kann man sich fragen, ob Berlin sein Erwachsenwerden nicht doch anders definieren sollte als in Anlehnung an amerikanische Vorbilder. Denn wie Wowereit bereits im Vorfeld erkannte: „Der Berliner Glamour ist eben ganz anders – jünger, frecher, unkonventioneller.“ Der künstlich auferlegte Rahmen nach amerikanischem Vorbild wirkt genau deshalb unnatürlich, wohingegen junge Avantgarde wie Ideal dem Anspruch auf authentische Art und Weise gerecht wird.