: Bürger misstrauen dem Senat
Mit einem Bürgerbegehren will eine Lichtenberger Initiative die dauerhafte Ansiedelung einer Haftanstalt verhindern. Unterstützung erhält sie vom Bezirk. Dabei ist gar nicht geplant, den Übergangsknast länger als zwei Jahre zu nutzen
Manchmal ist nicht ganz klar, wer sich mehr über ein Bürgerbegehren freut: die Menschen, die es anstoßen, oder jene, die es zum Handeln auffordern soll. Ein gutes Beispiel dafür ist das Anliegen einer Anwohnerinitiative in Lichtenberg. Diese will verhindern, dass aus der geplanten Verlagerung von rund hundert männlichen Gefangenen des offenen Vollzugs von Zehlendorf in den Ostbezirk eine Dauerveranstaltung wird. Noch im Sommer sollen die Insassen der JVA Düppel für rund zwei Jahre umziehen. In dieser Zeit werden dort die Barackenbauten aus den 30er-Jahren abgerissen und durch einen Neubau ersetzt. Das Erstaunliche ist: Initiative und Bezirksamt Lichtenberg stemmen sich gemeinsam gegen einen Beschluss, den es nicht gibt.
Denn die Justizverwaltung beteuert seit Wochen, die Inhaftierten in die Zehlendorfer Robert-von-Ostertag-Straße zurückzuverlegen, sobald der Neubau fertig ist. Das glauben die Lichtenberger jedoch nicht. „Wir befürchten, dass die Haftanstalt auf Dauer vor unseren Haustüren bleiben soll“, sagt Thorsten Sett-Weigel. Der Initiator des Bürgerbegehrens ist zugleich Vorsitzender des Bezirkselternausschusses und des neu gegründeten Kreisverbands der „Grauen“.
Ursprünglich wollten die Anwohner die zeitweilige Errichtung eines Gefängnisses in einem leer stehenden Bürogebäude in der Max-Brunnow-Straße ganz verhindern. Weil das nicht fruchtete, formulierte die Initiative ihr Anliegen um. Unter dem Titel „Kein offener Vollzug in Lichtenberg“ haben ihre Mitglieder nun sechs Monate Zeit, im Bezirk 6.000 Unterschriften für ein Bürgerbegehren zu sammeln. Wenn das klappt, muss sich die Bezirksverordnetenversammlung (BVV) mit dem Thema beschäftigen. Lehnt das Bezirksparlament das Ansinnen ab, folgt mit dem Bürgerentscheid die nächste Stufe. Doch so weit ist es noch lange nicht.
Als eine der Ersten will Bezirksbürgermeisterin Christina Emmrich (Die Linke) für das Bürgerbegehren unterschreiben. „Wir wollen das Gefängnis nicht länger als zwei Jahre bei uns haben“, sagte die Rathauschefin, als das Bezirksamt vergangene Woche das Bürgerbegehren zuließ.
Willkommen fühlen werden sich die Insassen des Lichtenberger Interimsgefängnisses also nicht. Vielleicht wird ihnen das kaum auffallen, sollen sie doch nach einer Übergangszeit außerhalb der Mauern arbeiten und nur zum Schlafen heimkehren. Die Justizverwaltung betont, wie ungefährlich die Gefangenen seien. Der „Schutz der Allgemeinheit“ sei gewährleistet, weil „nach Einschätzung fachkundiger Mitarbeiter keine Gefahr“ von den Insassen ausgehe, heißt es auf ihrer Internetseite. 24 Mitarbeiter des Vollzugsdienstes und drei Sozialarbeiter sollen die hundert Gefangenen im Auge behalten, „rund um die Uhr“ würden Mitarbeiter vor Ort sein.
Mit der Zulassung des Bürgerbegehrens hat der Streit um die Gefangenenverlegung eine neue Stufe erreicht – trotz einiger Warnungen. Der Grünen-Abgeordnete Benedikt Lux hatte Justizsenatorin Gisela von der Aue (SPD) bereits im Mai vorgehalten, sie habe nicht mit „ausgiebigen und ernsthaften Diskussionen“ in den Bezirken um mehr Verständnis geworben.
MATTHIAS LOHRE