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Archiv-Artikel

Alles andere als ein Light-Studium

FRAUENQUOTE Trotz Fachkräftemangels: Die Zahl von Studentinnen technischer Fachrichtungen an Hochschulen und Universitäten ist immer noch gering. Bloß an der Jade-Hochschule in Wilhelmshaven sieht das anders aus – dank ihres vor 15 Jahren gegründeten Frauenstudiengangs für Wirtschafts-Ingenieurinnen

Die Jade-Hochschule

Die 1971 gegründete Fachhochschule Wilhelmshaven trägt seit 2009 den Namen „Jade-Hochschule“ (JH).

Von insgesamt 7.500 JH-Studierenden besuchen 2.700 die Hochschul-Außenstellen Oldenburg und Elsfleth.

Die JH bietet Studiengänge in den Fachbereichen Seefahrt, Architektur, Bauwesen und Geoinformation, Ingenieurwissenschaften sowie Management, Information und Technologie an.

Der Frauenstudiengang Wirtschaftsingenieurwesen begann in den 90er-Jahren als dreijähriges Modellprojekt und ist seit 1997 festes Studienangebot an der JH.

Das Studium dauert drei Semester, wobei Studentinnen auch nach Abschluss des ersten oder zweiten Semesters in den gemischten Studiengang wechseln können.

Vom vierten Semester bis zum Bachelor- oder Master-Abschluss studieren Frauen und Männer gemeinsam.

Informationen: www.jade-hs.de

VON SIMONE SCHNASE

Schon als Kind hat Marita Aigner lieber mit Werkzeug als mit Puppen gespielt. Sie half beim Hausbau der Eltern, interessierte sich für Maschinen und konstruierte Regale für ihr Zimmer. Heute studiert die 23-Jährige im sechsten Semester Wirtschaftsingenieurwesen an der Jade-Hochschule (JH) in Wilhelmshaven. Die ersten drei Semester davon hat sie das ausschließlich mit Kommilitoninnen getan – als Studentin von Deutschlands erstem Frauenstudiengang.

Inzwischen gibt es bundesweit fünf Frauenstudiengänge, die meisten davon sind bis zum Bachelor-Abschluss „männerfreie Zone“. Dass die JH nur drei Semester ausschließlich für Studentinnen anbietet, ist ein Kompromiss: „Wir wollten ursprünglich das gesamte Studium für Frauen konzipieren“, sagt Studiengangs-Mentorin Ulrike Schleier. Das sei aber vor allem aus finanziellen Gründen genauso wenig machbar gewesen wie die Idee, hierfür nur Dozentinnen einzusetzen. Möglichst kostenneutral sollte das Konzept umgesetzt werden – und das klappt bis heute. „Mittlerweile bin ich froh darüber“, sagt Schleier. Denn es sei nicht sinnvoll, Frauen bis zum Beginn des Berufslebens von der Männerwelt fernzuhalten.

Eine Männerwelt ist das Studium noch immer: Im Bundesdurchschnitt schreiben sich nur 15 bis 20 Prozent Frauen für das Fach Wirtschaftsingenieurwesen ein. In Wilhelmshaven sind es doppelt so viele. „Viele Frauen haben in der Schule gelernt, dass die Jungs in Fächern wie Physik und Mathematik das Sagen haben. Beim Studium setzt sich das dann fort“, sagt Schleier. Das Konzept der reflexiven Koedukation, bei der an vielen Unis und Hochschulen innerhalb gemischter Gruppen berücksichtigt wird, dass Frauen und Männer unterschiedlich lernen, ist für Schleier keine Alternative, da schnelle Lernerfolge damit nicht erzielt werden könnten. „Bei uns dagegen entwickeln die Frauen recht schnell fachliches Selbstbewusstsein und bringen das dann als Rückenstärkung in das vierte Semester mit.“

Marita Aigner kann das bestätigen: „Ich hatte überhaupt keine Probleme mit dem Wechsel ins vierte Semester“, sagt sie. Auch die 21-jährige Jacqueline Dahl, Studierende im dritten Semester, hat keine Angst davor: „Ich weiß ja, dass wir alle auf dem gleichen Stand sind.“ Und vielleicht sogar noch mehr: „Professoren sagen den Männern oft, sie sollten sich vor uns hüten.“ Das liegt freilich nicht nur an der Abwesenheit männlicher Studierender: „Wir sind mit nur 21 Studentinnen angefangen, der gemischte Studiengang mit 80“, sagt Dahl.

Die kleine Gruppe biete eine familiäre Lernatmosphäre und engen Kontakt zu den DozentInnen. „Vor allem eher schüchterne Mitstudentinnen haben sich deswegen für das Frauenstudium entschieden, und viele Frauen nutzen das auch, um auszuprobieren, ob die Fachrichtung überhaupt etwas für sie ist“, sagt Dahl. Allerdings: Ohne Interesse an Technik und Mathematik sollte Frau sich nicht für das Studium Wirtschaftsingenieurwesen entscheiden, davon sind beide Studentinnen überzeugt: „Umgekrempelt wird hier niemand“, sagt Aigner.

Und auch nicht bevorzugt: „Die Studieninhalte sind genau die gleichen wie in der gemischten Gruppe“, sagt Schleier. Angeblich weibliche Vorzüge, in Unternehmen als „Soft Skills“ bezeichnet, kritisiert sie ebenso als „geschlechtszuweisend“ wie die angebliche Überlegenheit von Männern in technischen Berufen: „Diese Dinge sind eine Frage der Sozialisation, nicht des Geschlechts.“ Sie weiß um die Zögerlichkeit von Frauen, in Unternehmen Gehaltserhöhungen zu verhandeln oder die Karriereleiter zu erklimmen. Deswegen wird an der JH „Zeit-, Konflikt- und Selbstmanagement“ gelehrt, aber: „Bei uns lernen das alle Studierenden, nicht nur Frauen.“ Das stoße allerdings auch auf Unverständnis: „Es gibt durchaus Kollegen, die meinen, solche Veranstaltungen gingen zu Lasten technischer Fächer“, sagt Schleier.

Unverständnis ernten oft auch die Studentinnen. Aigner berichtet von Kommilitonen, die gespottet hätten: „Ihr braucht wohl einen extra Studiengang!“ Und auch Jacqueline Dahl hat solche Erfahrungen gemacht: „Man wird belächelt und muss sich oft sehr lange erklären.“ Trotzdem macht sie keinen Hehl aus ihrem besonderen Studium und will das auch bei Bewerbungen nicht tun: „Im Abschlusszeugnis taucht das Frauenstudium zwar nicht auf, aber ich wüsste nicht, warum ich das verschweigen sollte.“ Ulrike Schleier indes glaubt, dass nur die wenigsten Studentinnen so selbstbewusst sind: „Die meisten befürchten, ihr potenzieller Chef würde ihnen dann eine Art ‚Studium light‘ unterstellen.“

Dabei bedeutet das Frauenstudium nicht nur Fördern, sondern auch Fordern: „Während viele Männer neidisch auf unsere kleine Gruppe sind, wollen andere in der Anonymität vieler Mitstudierender nicht auffallen“, sagt Marita Aigner. Das ginge im Frauenstudium nicht: „Hier kann sich niemand verstecken.“ Die Alternative ist, sich von vornherein für das gemischte Studium zu entscheiden – und die nutzen an der JH durchaus ein Viertel bis die Hälfte der Studienanfängerinnen.

Die Chancen auf dem Arbeitsmarkt seien für die Absolventinnen sehr gut, sagt Schleier, wenngleich auch nicht im strukturschwachen Wilhelmshaven. „Die Perspektiven sind hier eher gut für Leute, die sich selbstständig machen wollen. Wir hoffen aber, dass sich aufgrund des wachsenden Fachkräftemangels mehr Firmen und Zweigstellen in Wilhelmshaven ansiedeln.“

Gutes Rüstzeug für den Arbeitsmarkt bietet die JH allemal, und das wissen auch die Studentinnen: „Ich habe mich in erster Linie an der Jade-Hochschule beworben, weil sie einen sehr guten Ruf hat“, sagt Dahl, die im 45 Kilometer entfernten Rastede lebt. Das habe sich bestätigt: „Die Hochschule ist super organisiert, hat toll ausgestattete und ausreichend viele Labore – hier muss man nicht mit Hunderten von Studierenden ständig Schlange stehen.“ Sie will später in der Automobilindustrie arbeiten und war in den Semesterferien bereits als Werkstudentin bei VW in Wolfsburg.

Marita Aigner ist fürs Studium nach Wilhelmshaven gezogen: „Sowohl die Hochschule als auch die Stadt sind klein. Die Studierenden lernen sich dadurch schnell kennen, gehen in die gleichen Kneipen, knüpfen sehr schnell Kontakte untereinander.“ Als leidenschaftliche Seglerin begeistert sie, dass sich im Besitz des Studierendenausschusses der JH zwei Segelboote befinden, die alle Studierenden nutzen dürfen. Nicht nur wegen ihres Hobbys will sie auf künftig gern an der Küste bleiben: „Ich will nach dem Studium in der Erneuerbare-Energien-Branche arbeiten, gern im Offshore-Bereich – und das gerne auch in Wilhelmshaven.“